Montag, 16. Dezember 2013

Für und Wider Windkraft in den Bergen

Im Lugnez sollen dereinst 40 Windanlagen Strom für 28'000 Haushalte liefern. Für diesen Ökostrom gibt es Subventionen – aber auch einen umstrittenen Zusatzbatzen.

Mehr Subventionen für Analgen in der Höhe: Höchst gelegenes Windrad von Europa auf 2'465 Meter beim Gries-Stausee im Kanton Wallis.

Es ist ein Projekt der Superlative: In der Surselva, auf dem Gemeindegebiet von Lugnez und Obersaxen, soll der grösste Windpark der Schweiz entstehen. Mit Standorten zwischen 2000 und 2500 Metern über Meer wird er zu den höchstgelegenen in Europa gehören. Auch der erhoffte Stromertrag sprengt alle Rekorde: Maximal 40 Windanlagen sollen bis zu 170 Gigawattstunden Strom pro Jahr liefern – mehr als eineinhalbmal so viel, wie aktuell die 34 grösseren Windturbinen im Land zusammen produzieren. Diese Menge würde für die Versorgung von 28'000 Haushalten reichen. Hinter dem Projekt stehen das auf Windkraft spezialisierte Unternehmen Altaventa und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ), das heute schon einen Teil Graubündens mit Strom versorgt.

Der Standort unweit des Skigebiets Obersaxen-Mundaun-Val Lumnezia weist gemäss Schweizer Windkarte ein im Grundsatz gutes Windpotenzial aus. Ob der Wind tatsächlich genug stark weht, ist gleichwohl fraglich. Seit 2010 laufen Messungen. Die Resultate sind noch nicht befriedigend. EWZ-Sprecher Harry Graf räumt ein: «Punkto Wirtschaftlichkeit sind wir noch nicht auf der sicheren Seite.» Um eine Anlage rentabel betreiben zu können, braucht es gemäss Experten nicht nur Windgeschwindigkeiten von 6 Metern pro Sekunde. Der Wind muss auch regelmässig wehen. Nun läuft eine weitere Messreihe. Resultate dürften im Frühjahr vorliegen.

Schub erhält das Projekt nun möglicherweise dank des Bundes. Ab 1. Januar 2014 kommen Windanlagen in den Bergen in den Genuss eines Höhenbonus. Heute wird jede Kilowattstunde Windstrom mit 21,5 Rappen subventioniert, einerlei, wo die Anlage steht. In Zukunft erhalten neue Anlagen auf 1700 Metern und höher maximal 2,5 Rappen mehr. Festgesetzt hat diesen Bonus der Bundesrat, als er unlängst neue Regeln für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für erneuerbare Energien festgeschrieben hat. Vom ersten bis dritten Quartal dieses Jahres betrug die ausbezahlte KEV-Gesamtvergütung knapp 220 Millionen Franken, an Windkraftanlagen gingen davon 6,5 Millionen. Der Löwenanteil kam Solarprojekten zugute. Berappen müssen die Subventionen die Stromkonsumenten. 

Mit dem Höhenbonus will der Bundesrat den speziellen Bedingungen im alpinen Gelände Rechnung tragen. Weil die Luft in der Höhe dünner und der Wind turbulenter ist, kann eine Anlage nicht so viel Strom produzieren wie im Flachland. Fachleute sprechen von Ertragseinbussen bis zu 25 Prozent. Zudem kostet es in diesen Höhen wegen Vereisung und der schlechten Zugänglichkeit mehr Geld, eine Anlage zu warten. Der Höhenbonus soll gemäss Bundesrat einen Anreiz bieten, Anlagen an alpinen Standorten mit «besten Windverhältnissen» zu erstellen.

EWZ-Sprecher Harry Graf spricht von einem «willkommenen Beitrag», der die Realisierungschancen des Projekts erhöhe. Er betont jedoch, der Höhenbonus allein genüge dafür nicht. Er werde jedoch zum «zusätzlichen Entscheidungselement», sofern die Wirtschaftlichkeit des Projekts nicht ganz gegeben sei. Graf dementiert Gerüchte, wonach das EWZ beim Bundesrat für den Höhenbonus lobbyiert habe.

Scharfe Kritik am Höhenbonus äussert die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). Es handle sich um einen schädlichen Subventionsanreiz, der dazu verleite, die letzten Naturräume zu verschandeln. Die SL erinnert den Bundesrat daran, dass die Schweiz die Alpenkonvention unterzeichnet habe und damit die Alpen in ihrer Ursprünglichkeit schützen müsse. Geschäftsleiter Raimund Rodewald verweist zudem auf Österreich und Südtirol, die ganz darauf verzichten würden, Windpärke auf ihren Bergen zu erstellen.

Widerstand hat sich auch vor Ort formiert. Die Gegner des Windparks haben sich in der Interessengemeinschaft Sezner - Um Su - Grenerberg zusammengeschlossen. «Die Schweiz ist kein Windland», sagt IG-Mitglied Martin Jäger und verweist auf besser geeignete Lokalitäten am und im Meer. Nachhaltig am Surselva-Projekt sei einzig die Zerstörung der Landschaft. Die Eingriffe in die hochsensible alpine Fauna und Flora stünden in keinem Verhältnis zum Energiegewinn. Dies umso weniger, als ein kantonales Landschaftsschutzgebiet vom Projekt tangiert werde. «Es entsteht ein Industriegebiet mit 40 Türmen von je 140 Meter Höhe oder noch höher», sagt Jäger. Diese «Verschandelung» torpediert nach Ansicht der Gegner auch die jahrzehntelangen Bemühungen der Gemeinden Lumnezia und Obersaxen, den sanften Tourismus zu fördern.

Doch das Projekt hat auch Befürworter. Sie erhoffen sich Aufwind für eine Region, die unter Abwanderung leidet – etwa dank neuen Arbeitsplätzen und Pachtzinsen in der Höhe von Hunderttausenden von Franken. Die ökonomischen Chancen streichen auch Altaventa und das EWZ hervor. Um die Akzeptanz für das Projekt zu erhöhen, haben sie früh einen runden Tisch mit den involvierten Gemeinden, Politikern, Umweltverbänden und Alpgenossenschaften ins Leben gerufen. Die Bündner Sektionen von Pro Natura und WWF können sich einen Windpark an dieser Lage vorstellen – allerdings nur unter der Bedingung, dass er möglichst nah beim Skigebiet gebaut wird. So beeinträchtige er kaum das kantonale Landschaftsschutzgebiet und tangiere das angrenzende nationale Schutzgebiet nicht.

Trotz der bisherigen Messresultate bezeichnen das EWZ und Altaventa den Standort als vielversprechend. Die Distanz zu bewohnten Gebieten sei gross, somit seien die Anlagen auch bei hohen Windgeschwindigkeiten nicht hörbar. Auch sei das Gebiet gut erschliessbar. Es führe bereits eine lastwagentaugliche Strasse bis auf 2100 Meter, weshalb Ausbauten nur punktuell erfolgen müssten. Dem widersprechen die Gegner: Für Zufahrtsstrassen und Bauplätze würden viele Hektaren Kultur- und Weideland geopfert, sagt Martin Jäger und warnt vor «öden Industriebrachen, die jahrzehntelang weithin sichtbar bleiben». 

Vorbehalte hat auch der Schweizerische Alpen-Club (SAC), der Windanlagen oberhalb von 1400 Metern in unverbauten oder unerschlossenen Gebieten ablehnt. Die SAC-Sektion Piz Terri hat Widerstand angekündigt für den Fall, dass eine Anlage auf dem Um Su (2357 m) gebaut wird. Auch verlangt sie weiterhin freie Sicht vom beliebten Skitourengipfel – auf ihren Hausberg Piz Terri (3149 m).

Die Reaktionen der Zürcher Politiker www.windpark.tagesanzeiger.ch

Quelle: Tages-Anzeiger 16.12.13

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Montag, 9. Dezember 2013

Körper heilt Seele

Neurowissenschaftler entdecken das Meditieren als Mittel gegen Stress, Angststörungen und Depressionen. Sich mit dem Geist zu befassen, führt gemäss ausführlichen Studien zu erstaunlichen (und positiven) Veränderungen im Gehirn.

Das Zähneputzen hat in einer Berliner Wohnung seit neuestem etwas Meditatives. Die 32-jährige Bewohnerin läuft nicht mehr hektisch mit der Bürste durch die Zimmer, um gleichzeitig andere Dinge zu erledigen, sondern sie hat die Reinigung zu einem Ritual gemacht. "Ich versuche zu erfassen, wie die Zahnpasta schmeckt und wie sich die Borsten auf dem Zahnfleisch anfühlen", sagt Hedwig Müller*, eine Studentin.

Sie hat bewegte Zeiten hinter sich. Als sie vor einigen Wochen endlich ihre Magisterarbeit fertigstellen wollte, litt sie plötzlich an einer Schreibblockade. Die junge Frau fühlte sich erschöpft und ging zum Hausarzt. Der verschrieb ihr Escitalopram, einen Wirkstoff gegen Depressionen, und stellte ihr eine Bescheinigung aus, dass sie die Magisterarbeit aus medizinischen Gründen nicht fristgerecht abliefern könne.

Es war in diesen Tagen, als Hedwig Müller den Aushang im Supermarkt sah. Darin wurden Menschen mit Antriebsstörungen und depressiven Verstimmungen gesucht, die statt Pillen ein ungewöhnliches Mittel ausprobieren sollten: Meditation. "Ich war überrascht, dass die Meditation helfen soll", sagt Müller. Zu Beginn der Studie ließ sie ihr Gehirn per Elektroenzephalograf und Kernspin von Psychologen der Freien Universität und der Charité Berlin untersuchen, dann übte sie die sogenannte Achtsamkeitsmeditation. Unterstützt durch Audio-CD und Handbuch meditiert sie jeden Tag. Sie bemüht sich, das Hier und Jetzt ganz bewusst zu erfassen - so auch beim Zähneputzen. 

Was sie beim Meditieren empfindet, das soll sie nicht bewerten, sondern offen und neugierig betrachten. Die ungewohnte Arbeit mit dem Geist mache Spaß, erzählt Müller. Ob sie ihr medizinisch hilft, das wird sie nach Abschluss der Studie wissen. Doch die Chancen stehen gut. Das geht aus einer Meditationsstudie mit 22 depressiven Frauen und Männern in Tübingen hervor. Zu den Probanden gehörte Thomas Schröder(*). Der schwäbische Familienvater, Mitte vierzig, hatte zuvor drei Krankheitsphasen erlebt, die so schwer waren, dass er wochenlang nicht aus dem Haus ging.

Schröder und die anderen Probanden lernten acht Wochen lang sanfte Yoga-Übungen sowie die Achtsamkeitsmeditation. Anfangs hatte Schröder, ein promovierter Arzt, seine Zweifel: Er fühlte sich der reinen Schulmedizin verpflichtet. Mit Meditation hatte er sich nie beschäftigt. Nun saß er im Lotossitz und dachte: Was mache ich hier? Doch je länger er die Arbeit mit dem Geist betrieb, desto besser gefiel sie ihm. Der Mediziner ist wieder in seinem alten Job tätig, als Produktmanager einer Firma für Krankenhausbedarf.
 
Er braucht keine Medikamente mehr - er meditiert jeden Tag. Was ihm da widerfahren ist, das hat Schröder im Fachblatt "Psychiatry Research" nachgelesen, in dem die Studie veröffentlicht wurde: Die Meditation hat die Biologie seines Gehirns verändert. Die federführenden Psychologen Vladimir Bostanov und Philipp Keune haben das entdeckt, indem sie das Gehirn der Probanden vor und nach dem Meditationskurs neurophysiologisch untersuchten. Sie spielten ihnen bestimmte Töne vor und maßen die elektrische Aktivität der Hirnzellen. Das Ergebnis: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe reagierte das Gehirn nach dem achtwöchigen Meditationskurs deutlich stärker auf die akustischen Reize. Es hatte gelernt, nicht mehr andauernd zu grübeln - und brachte die frei gewordenen Ressourcen den Tönen entgegen.

Die Messkurven des Elektroenzephalogramms passen wunderbar zu den Erfahrungen Schröders und der anderen Studienteilnehmer. Viele von ihnen können endlich wieder klar denken. "Das Meditieren hilft den Patienten, ihre Aufmerksamkeit zu steuern", sagt Keune. "Dadurch verlieren sie sich weniger häufig in negativen Gedanken." Wie Keune erforscht auch die junge Psychologin Bethany Kok die heilende Kraft des Geistes. Die US-Amerikanerin untersucht den sogenannten Vagusnerv. Der läuft vom Hirnstamm den Hals entlang durch die Brusthöhle bis zu den Eingeweiden und endet in vielen Verästelungen (sein Vagabundieren hat ihm den Namen "Vagus" eingebracht). Er versorgt die äußeren Gehörgänge, den Schlund, den Kehlkopf, die Lunge, den Magen, den Darm und das Herz.
 
Beim Einatmen schlägt das Herz oftmals etwas schneller als beim Ausatmen. Dieser Unterschied ergibt den Spannungszustand des Vagusnervs. Ein hoher Tonus bürge für eine geregelte Verdauung, sagt Bethany Kok, und helfe beim Orgasmus. Auch sei er unverzichtbar für soziale Kontakte. Der Blick in die Augen, das einfühlsame Lächeln und das zustimmende Nicken - all das laufe ebenfalls über den Vagusnerv. Wäre es nicht großartig zu erfahren, wie man den Tonus dieses Tausendsassas erhöhen kann? Zusammen mit Kollegen der University of North Carolina in Chapel Hill unternahm Kok ein Experiment: Neun Wochen lang notierten 65 Frauen und Männer jeden Abend auf einem Fragebogen die guten und die schlechten Gefühle und Erlebnisse des Tages. Zusätzlich absolvierte die Hälfte von ihnen einen Meditationskurs, der Gefühle wie Liebe, Wohlwollen und Mitgefühl förderte. Das Ergebnis hat die Gruppe um Kok im Fachblatt "Psychological Science" präsentiert: Im Unterschied zur Kontrollgruppe ist der Vagotonus der Meditierenden deutlich gestiegen. "Wer sich mit guten Gefühlen versorgt, der verbessert den Tonus des Nervus vagus", sagt Kok, die mittlerweile ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gewechselt ist. "Das wiederum ist mit guter Gesundheit verbunden - und könnte zu einem längeren Leben führen." Es sei der Geist, der sich den Körper baue, schrieb Friedrich Schiller einst in seinem Drama "Wallenstein". Zug um Zug erkennt die Meditationsforschung, wie richtig der Dichter - und examinierte Arzt - damit lag: Die Seele kann den Leib verändern.

Die Erkenntnis befreit die Meditation vom Ruch des Esoterischen. Ihre Erfolge sind verbunden mit messbaren Veränderungen im Gehirn. An vielen Universitätskliniken machen Psychologen und Ärzte sich daran, aus dem Buddhismus und dem Hinduismus stammende Meditationstechniken mit der modernen Medizin zu vereinen. Mönche und Yogis zeigen, wie man auf dem Weg ins Nirwana zugleich auch Erkrankungen behandeln kann.
Niemand behauptet, man könne Krankheiten gleichsam wegdenken. Jedoch hat das Meditieren einen Einfluss auf die Gesundheit, den Ärzte und Psychologen bisher viel zu selten nutzten.

Nun aber wächst die Zahl der Veröffentlichungen zum medizinischen Meditieren exponentiell. "Das Feld plätscherte lange Zeit dahin. Doch jetzt verhelfen ihm die Neurowissenschaften zu einem Boom", sagt Ulrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen. Ob Yoga, Tai-Chi, Qigong oder Achtsamkeit - das Meditieren sei nicht mehr auf religiöse Kontexte beschränkt: "Es wird in Kliniken zur Behandlung von Patienten eingesetzt, denen es um eine Besserung ihrer Symptome geht und nicht um spirituelle Erleuchtung."

In seinem Buch "Meditation für Skeptiker" erklärt Ott den Weg zum Selbst: Meditieren diene dazu, "das Bewusstsein zu erweitern und sich von eingefahrenen Denkmustern und Verhaltensweisen zu lösen". Jeder könne lernen, das innere Befinden "in Richtung Ruhe und Gelassenheit zu verändern". Und das wirkt besser als manche Medizin: Am Massachusetts General Hospital im amerikanischen Boston setzten 15 Frauen und Männer ihren Geist wie eine Arznei ein. Sie waren anfangs verspannt, schlafgestört und geplagt von Sorgen. Generalisierte Angststörung lautete ihre Diagnose. Acht Wochen lang nahmen sie an einem Kurs zur Achtsamkeitsmeditation teil. Und der tat ihnen gut: Sie konnten ihre Ängste besser beherrschen und fanden wieder mehr Schlaf.

Das Gehirn war auf wohltuende Weise verwandelt, wie die Untersuchung im funktionellen Kernspin offenbarte: Nach dem Meditieren waren Teile der vorderen Hirnrinde (präfrontaler Kortex) verstärkt durchblutet - also genau jene Areale, die für das Regulieren von Gefühlen wichtig sind. Überdies erschien die Verbindung zwischen präfrontalem Kortex und dem Angstzentrum des Gehirns, der Amygdala, stärker ausgeprägt als bei Vergleichspatienten, die nicht meditiert hatten. 

Die Psychologin Britta Hölzel konnte im Gehirn-Scanner gleichsam zugucken, wie das Meditieren die Angst vertrieb. "Der präfrontale Kortex nimmt die erhöhte Aktivität der Amygdala wahr, ohne sie zu unterdrücken", sagt Hölzel, deren Studie im Fachblatt "NeuroImage: Clinical" erschienen ist. "Der Mensch lässt die Dinge so sein, wie sie sind. Und genau deshalb ist er nicht mehr so ängstlich und so aufgewühlt."


Von der Achtsamkeit bis zum Zen reichen die Schulen der Meditation. Jeder solle die Technik wählen, die ihm am besten gefalle, rät der Gießener Psychologe Ott. "Bei manchen meditativen Verfahren wie dem Tai-Chi, Qigong, Drehtanz der Sufis, einigen Varianten des Yoga, der Gehmeditation des Zen und der dynamischen Meditation nach Osho stellen Bewegungen des Körpers einen zentralen Aspekt der Methode dar", sagt er. Die stillen Methoden dagegen legten Wert auf das Verharren im Sitzen oder in einer anderen Körperhaltung.

Noch ist nicht erforscht, welche Art der Meditation am besten taugt, aber Ärzte und Psychologen verschreiben häufig die sogenannte Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), das ist jenes Acht-Wochen-Programm, das Thomas Schröder in Tübingen so gutgetan hat. Dass MBSR in der westlichen Medizin so beliebt geworden ist, liegt an Jon Kabat-Zinn, Jahrgang 1944. Der mittlerweile emeritierte Professor der University of Massachusetts Medical School in Worcester verband Elemente aus dem Buddhismus mit der westlichen Naturwissenschaft, um kranken Menschen zu helfen. Heute ist MBSR in vielen Kliniken verbreitet und hat sich gegen Stress, Depression, Angststörungen und Schmerzen bewährt.

Sprechstunde: Diese Techniken helfen bei Stress am besten
Sprechstunde: Raus aus der Depression  

Quelle: Auszug aus Artikel Spiegel 9.12.13

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Sonntag, 1. Dezember 2013

Bitcoin oder die Sache mit dem Geld

Weil Bitcoin immer populärer wird, überlegen sich immer mehr Regierungen weltweit, wie sie mit der künstlichen Währung umgehen sollen. Auch die Schweiz diskutiert darüber.

«Es ist wie bei der Luftgitarre», sagt Jon Matonis. «Sie existiert nur, weil alle Beteiligten daran glauben.» Matonis ist Geschäftsführer der Bitcoin-Stiftung und damit Cheflobbyist einer Währung, die – wie die Luftgitarre – physisch nicht existiert. Und dennoch sind im Moment jeden Tag Zehntausende von Menschen bereit, über 1000 real existierender Dollars gegen eine Einheit der Luftgitarren-Währung zu tauschen.

Für Aussenstehende ist das Phänomen schwer verständlich. Es gibt Börsen, an denen reales Geld in Bitcoins getauscht werden kann und mindestens einen Bancomaten, der Bargeld gegen elektronisches Bitcoin-Guthaben wechselt. Es gibt Online-Shops, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren und in gewissen Gegenden – Berlin Kreuzberg etwa – auch mehrere Geschäfte, in denen man mit Bitcoins bezahlen kann.

Kaum Gebühren, aber volatil
Das virtuelle Geld muss einfach via Smartphone-App von einem elektronischen Portemonnaie ins andere verschoben werden. Theoretisch wäre das sogar attraktiv: Verglichen mit Kreditkartenzahlungen fallen kaum Gebühren an. Allerdings schwankt der Wert einer Bitcoin im Moment so stark – an gewissen Tagen um mehrere 100 Dollar innert weniger Stunden –, dass das Bezahlen eines Kaffees zum spekulativen Akt verkommt.
Bitcoin wurde 2008 von einem anonymen Programmierer entwickelt, basierend auf einer politischen Ideologie: Die Währung sollte ohne Einmischung eines Einzelnen – oder eines Staates - existieren. Sie sollte günstig und ohne Mittelsmann austauschbar sein, auch wenn sich die Beteiligten weder kennen noch vertrauen. Und sie sollte die finanzielle Privatsphäre garantieren: Wer wie viel davon besitzt und wofür er es ausgibt, sollte niemanden etwas angehen. Es sollte eine Währung sein, die ähnlich funktioniert wie Gold.

Der Zufall hat die Hand im Spiel
Statt von einer Zentralbank wird das System darum von einem dezentralen Netz aus den Computern von Freiwilligen betrieben – einer modernen Spezies der Goldgräber. Diese beteiligen sich an einer Art Lotterie: Im Wettlauf mit anderen sollen ihre spezialisierten Computer möglichst schnell ein mathematisches Rätsel lösen. Je schneller der Computer, desto grösser die Chance, die Lösung als Erster zu finden. Trotzdem entscheidet am Ende der Zufall. Der Gewinner erhält den fiktiven Rohstoff – neue Bitcoins.

Mittlerweile grassiert ein wahrer Bitcoin-Rausch: Die Computer, deren einziger Zweck es ist, Bitcoins zu schürfen und das System zu unterhalten, besitzen bereits über hundertmal so viel Rechenleistung wie die 500 schnellsten Supercomputer der Welt. Sie verbrauchen dabei rund 110'000 Megawattstunden Strom pro Tag – so viel wie 24'500 Schweizer Haushalte in einem Jahr. Als Nebenprodukt dieses Wettlaufs bewirtschaften die Computer ein öffentliches Register, in dem jede Transaktion gespeichert ist, die jemals mit Bitcoins gemacht wurde. Anhand des Registers überprüfen immer mehrere Rechner gleichzeitig eine Überweisung auf ihre Legitimität. «Das macht das System so sicher», sagt Bitcoin-Experte Matonis.

Die steigende Popularität von Bitcoin hat Regierungen auf der ganzen Welt aufgeschreckt. Nicht nur die USA und China beschäftigen sich damit, ob und wie sie mit Bitcoin umgehen wollen. Auch in der Schweiz wird der Nationalrat demnächst beraten, ob er den Bundesrat mit einer Risikoanalyse beauftragen soll. 

Gleichzeitig warnen Ökonomen vor einer Blase gigantischen Ausmasses: Zwar basiert das Bitcoin-Programm auf einer Geldtheorie und auf ökonomischen Kriterien. Zum Beispiel ist die Geldmenge nach oben beschränkt: Bis ins Jahr 2140 werden maximal 21 Millionen Bitcoins ausgegeben. Dadurch steigt der Wert einer Einheit automatisch, je mehr Menschen sich dafür interessieren. Zwar macht das Bitcoin attraktiv in Ländern, in denen Inflation herrscht und der Kapitalverkehr beschränkt ist – wie etwa in China. Für viele Ökonomen führt aber gerade das unvermeidlich zum Kollaps. Denn wenn der Wert von Bitcoins stetig steigt, wer will sie dann noch ausgeben? Und wenn niemand mehr etwas damit kauft, funktioniert die Bitcoin-Wirtschaft nicht mehr.

Plattform für Überweisungen
Trotz aller Kritik und Absurditäten gibt es eine Diskussion darüber, was für einen Platz virtuelle Währungen in der realen Welt einnehmen könnten. Das Bitcoin-System wurde bereits Dutzende Male kopiert, das Portal Coinmarketcap.com listet 36 ähnliche virtuelle Währungen auf. Keine davon ist im Moment auch nur annähernd so gross. Alle versuchen, die Schwächen von Bitcoin auszumerzen – und sei es nur der Stromverbrauch.

Interessant ist ein Dienst namens Ripple, der zwar auch eine gleichnamige Währung kennt, sich aber auf seine Funktion als Überweisungsplattform fokussiert. Genau dort sehen viele Experten den wahren Wert einer virtuellen Währung: In der Möglichkeit, günstig und barrierefrei Geld in die ganze Welt zu verschicken. Nicht zuletzt, weil es bereits einen Markt gibt: 2013 werden Emigranten laut Weltbank 550 Milliarden Dollar an ihre Familien schicken.

Quelle: Tages-Anzeiger 2.12.13

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