Montag, 28. Oktober 2013

Ungenügende Noten für CH-Spitäler

Das Infektionsrisiko ist in der Schweiz deutlich höher als in anderen Ländern. Das Bundesamt für Gesundheit startet nun ein nationales Qualitätsprogramm, um die Zahl der Infektionsfälle zu senken.

Rund 600 Todesfälle und 15'000 Infektionserkrankungen könnte man jedes Jahr vermeiden, wenn in Operationssälen minimale hygienische Standards eingehalten würden. Das erklärt Swissnoso, eine Gruppe von leitenden Hygiene- und Infektionsspezialisten, die Spitalinfektionen seit 1994 zu bekämpfen versucht. Doch mit unverbindlichen Richtlinien und Empfehlungen wie «systematisches Händewaschen» und «Checkliste durchgehen» ist es dieser Organisation bisher nicht gelungen, die vermeidbaren Todes- und Krankheitsfälle genügend zu reduzieren. Eine Studie zeigt, dass die Hände nur in etwa 60 Prozent der gebotenen Gelegenheiten desinfiziert werden, wobei das Pflegepersonal pflichtbewusster ist als die Ärzte.

Punktuelle Fortschritte sind zwar in einzelnen Spitälern zu verzeichnen: Mit einem konsequenten Präventionsprogramm ist es der Intensivstation des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) gelungen, die Zahl der Infektionen zu halbieren. Doch insgesamt hapert es mit der Hygienequalität in Schweizer Spitälern noch gewaltig. Deshalb will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nach Aussage von Manfred Langenegger, Projektleiter Qualitätssicherung, ab 2015 mit Swissnoso ein nationales Qualitätsprogramm starten, um die Zahl der Wundinfektionen «wesentlich und nachhaltig zu senken». Vergleichszahlen von Swissnoso zeigen, dass die Schweiz im Vergleich zu Ländern der EU und zu den USA nicht einmal die durchschnittliche Qualität erreicht.  

Besonders schlecht sieht es bei Operationen an Dickdarm oder Enddarm aus: In der Schweiz erleidet jeder achte Patient eine Infektion, während es in Deutschland nur jeder elfte ist, in Frankreich jeder dreizehnte und in den USA jeder sechzehnte. Bei den insgesamt rund 9700 Darmoperationen pro Jahr käme es zu fast 400 Infektionen weniger, wenn die Behandlungsqualität in der Schweiz so gut wäre wie in Deutschland, und sogar zu fast 500 weniger, wenn die Qualität auf dem Niveau französischer Spitäler wäre. Bei diesen Werten handle es sich um eine «robuste statistische Aussage», schreibt Swissnoso und hält fest, dass die Infektionsrate nach Darmeingriffen in der Schweiz «vergleichsweise hoch» sei.

Auch nach dem Einsetzen von Kniegelenks- und Hüftgelenksprothesen ist die Infektionsrate in der Schweiz merklich höher als im Durchschnitt der EU. Wären die Infektionen nach Hüft- oder Kniegelenksoperationen bei uns so selten wie beispielsweise in Grossbritannien, könnten in der Schweiz jährlich über 300 Infektionsfälle vermieden werden. Infektionen bereiten Ärzten und Betroffenen zunehmend Kopfzerbrechen, weil es immer mehr Keime gibt, die gegen Antibiotika resistent sind.

Die Vergleichsstudie hatte Swissnoso im Auftrag des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern (ANQ) durchgeführt. Der ANQ wird von den Kantonen, dem Spitalverband H+ und dem Krankenkassenverband Santésuisse finanziert. An einer Medienkonferenz im August hat der ANQ lediglich Argumente verbreitet, die das schlechte Abschneiden der Schweiz relativieren sollten. Die Schweiz schneide vor allem deshalb schlecht ab, weil sie Infektionen, die erst nach dem Spitalaustritt auftreten, viel gründlicher erfasse. Swissnoso schreibt allerdings selber, dass die angewandte «Methode weitgehend identisch und somit vergleichbar mit andern nationalen Erfassungsprogrammen» war. Bei den Bypassoperationen jedenfalls muss die Erfassung von Infektionen erst nach Spitalaustritt etwa gleich gut erfolgt sein. Denn in Deutschland und der Schweiz traten fast 60 Prozent der Wundinfektionen erst im Laufe eines Jahres nach der Operation auf. Doch hierzulande kam es bei einem von 19 Patienten zu einer postoperativen Infektion, in Deutschland hingegen nur bei einem von 34.
 
Der ANQ verschwieg Faktoren, welche die Schweizer Zahlen noch schlechter aussehen lassen könnten. Erstens hatte die Hälfte aller Spitäler nicht mitgemacht, darunter vermutlich solche, die ein schlechtes Abschneiden befürchteten. Und zweitens haben selbst die teilnehmenden Spitäler Daten zu einzelnen Operationen verweigert, möglicherweise zu solchen, bei denen sie ein schlechtes Abschneiden befürchteten. Schliesslich gab es drittens – anders als etwa in Holland – keine unabhängige Stelle, welche die von den Spitälern gelieferten Daten kontrollierte. Der Möglichkeiten, Daten zu beschönigen, gibt es viele. Bereits 2009 hatte ein Länderbericht der OECD/WHO die Schweiz kritisiert, dass sie sich «zu sehr auf die Selbstregulierung durch die Fachgesellschaften verlässt» und kein überzeugendes Kontrollorgan existiere. In den USA mussten Spitäler ihre Infektionszahlen nach oben korrigieren, nachdem die Angaben extern kontrolliert wurden.

Zu besonders vielen vermeidbaren Infektionen komme es, wenn in Operationssälen eine autoritär geprägte Kultur herrsche, erklärt Professor Peter Pronovost von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, eine internationale Infektionskoryphäe. Sei der Chirurg ein Hierarch, würden es die Anwesenden im Operationssaal nicht wagen, zu intervenieren, falls etwas schiefzugehen drohe oder wenn der Chef nach einem Telefon oder dem Drücken einer Türfalle die Hände nicht erneut desinfiziere. Trotzdem erfasst Swissnoso die Infektionsraten einzelner Chirurgen nicht. Und die Spitäler wollen nichts wissen von Sanktionen, wenn das Personal im Operationssaal schweigt. Man wolle das «Denunzieren» nicht fördern, lautet die Begründung. Opfer sind Patienten, denen verlängerte Behandlungen und ein vorzeitiges Sterben drohen.
 
Die erfassten Infektionsraten der einzelnen Spitäler wollen Swissnoso und der Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern nicht bekannt geben, auch nicht die Häufigkeit je nach Spitaltypen – Universitätsspitäler, Zentrumsspitäler und Regionalspitäler. Es seien «zu viele Ko-Faktoren» im Spiel, um die Zahlen zuverlässig vergleichen zu können, sagen sie. Bei künftigen Vergleichen wollen Swissnoso und ANQ die Infektionszahlen der einzelnen Spitäler veröffentlichen, verspricht Swissnoso-Generalsekretär Erich Tschirky. In einigen US-Bundesstaaten und in Grossbritannien ist diese Transparenz längst vorhanden. Wer eine nicht notfallmässige Darm- oder Bypassoperation vor sich hat oder ein künstliches Gelenk möchte, bleibt deshalb im Ungewissen, wo er am ehesten riskiert, an einer vermeidbaren Infektion zu erkranken oder sogar zu sterben: ob in einem Universitätsspital, einem Zentrumsspital oder einem Regionalspital. Auch die schwarzen Schafe unter den Spitälern kann er nicht meiden. 

Quelle: Tages-Anzeiger 28.10.13

^^^ Nach oben

Montag, 21. Oktober 2013

Die 7 W-Fragen im Journalismus

Beim Verfassen eines journalistischen, aber auch eines alltäglichen Textes, ist es sinnvoll, jeweils (nach Möglichkeit) alle folgenden Fragen zu beantworten:

Wer?  
Auf dem Bild ist eine chinesische Familie am Essen, oder:
Ein Bild der Natur, im Vordergrund stehen zwei Kühe.

Was?
Vor mir liegt ein farbenfroher Stadtausschnitt.


Wann?
Das Bild ist im Winter gemacht worden, so wie die Leute angezogen sind.


Wo?
Das ist mitten in der schönen Altstadt von Zürich.


Wie?
Mein Bild ist sehr farbig und man kann sehen, wie der ganz normale Tag in China ist.


Warum?
Lieber arbeiten ohne Sicherheit als arbeitslos.


Wozu?
Die Besitzerin sucht etwas, hofft auf wertvolle Funde, um diese verkaufen zu können.


Zur Reihenfolge: Das Wichtigste zuerst!

Weitere hilfreiche Elemente, um einen sinnvollen Text zu liefern, sind Titel, Lead (Einführung), Zwischentitel, Fazit / Schluss.

Mit Textbeispielen aus den Bildbeschreibungen der KursteilnehmerInnen

^^^ Nach oben

Gerangel um 1:12-Initiative

Ein Finanzprofessor ist klar für die Initiative

Finanzprofessor Marc Chesney hielte ein 1:20-Verhältnis angebrachter, unterstützt aber trotzdem die Juso-Initiative. Wirtschaftsvertreter zeigen sich derweil besorgt ob der neusten Umfragewerte.

Finanzprofessor Marc Chesney stellt sich auf die Seite der 1:12-Initiative. «1:20 wäre für die Schweiz wahrscheinlich angebrachter als 1:12», sagte er im Interview mit dem «SonntagsBlick». Aber jetzt gehe es um die Wahl zwischen 1:12 und Status quo. «Ich werde klar für die Initiative stimmen.» Die Lohnentwicklung in der Finanzbranche sei in den vergangenen 30 Jahren völlig ausser Kontrolle geraten. «Die heutigen Lohndifferenzen sind weder moralisch noch ökonomisch vertretbar», sagte Chesney, der am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich unterrichtet.

Bezweifelt Abzug
Dass Grossbanken bei einem Ja zur Initiative ins Ausland abwandern, bezweifelt er. «Die Institute sollten bei einem Wegzug ihre faktische Staatsgarantie verlieren – das heisst, dass sie in einem finanziellen Notfall, wie er etwa 2008 bei der UBS aufgetreten ist, nicht mehr mit Schweizer Steuergeldern gerettet werden könnten.» «Mal sehen», fragt Chesney, «welcher ausländische Steuerzahler in diesem Fall einspringen würde: der Amerikaner, der Engländer, oder der Singapurer? Bonne Chance!»

Wirtschaftsvertreter zeigen sich besorgt
Einen Monat vor der Abstimmung steht die 1:12-Initiative verhältnismässig gut da: Gemäss einer SRG-Umfrage wollen 44 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative annehmen, ebenfalls 44 Prozent wollen sie ablehnen, wie am Freitag bekannt wurde. Andreas Koopmann, Verwaltungsratspräsident der Georg Fischer AG und Vizepräsident von Nestlé, zeigt sich gegenüber der «Schweiz am Sonntag» besorgt. «Kein einziges ausländisches Unternehmen würde bei einer Annahme der Initiative mehr in die Schweiz ziehen wollen.» Mehrere Unternehmen planten zudem Szenarien zur Verlagerung zumindest eines Teils der Tätigkeiten ins Ausland. So würden in den Verwaltungsräten von Georg Fischer AG, Nestlé und Credit Suisse derartige Szenarien durchgespielt. «Manche Szenarien sehen vor, einen Teil der Tätigkeiten zu verlagern, der Extremfall wären Sitzverlegungen. Jedes Szenario wäre mit schlechten Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Schweiz verbunden», lässt sich Koopmann zitieren. 

Ruedi Noser, FDP-Nationalrat und Präsident des Wirtschaftsnetzwerks Succèsuisse, fordert eine deutliche Ablehnung der Initiative: «Die Initiative muss mit einem Nein-Anteil von über 70 Prozent bachab geschickt werden. Alles andere wäre eine Kriegserklärung an die Wirtschaft.» (mw/sda)

Interview mit dem FDP-Nationalrat Ruedi Noser

Herr Noser, laut der SRG-Trendumfrage von Freitag sind Gegner und Befürworter der 1:12-Initiative mit jeweils 44 Prozent gleichauf. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Das ist schwierig zu sagen. Das Ergebnis kann jedoch gut dazu dienen, die Gegner der Initiative zu mobilisieren. Und ich bin mir sicher, dass dies auch gelingt.

Inwiefern?
Alle potenziellen Gegner wissen nach diesem Ergebnis, dass sie an die Urne gehen müssen.

Bis zur Abstimmung am 24. November bleibt etwa ein Monat. Sie hoffen auf einen Nein-Anteil von 70 Prozent. Was muss passieren, damit der unentschlossene Stimmbürger sich an der Urne nicht für ein Ja entscheidet?
Es ist absolut realistisch, dass weniger als 30 Prozent der Initiative zustimmen. Das Potenzial der Befürworter ist bereits ausgeschöpft – es ist also essenziell, dass wir die Gegner mobilisieren können.

Wie wollen Sie das konkret tun?
Mit mehr persönlichem Engagement. Ich selbst werde bis zur Abstimmung noch mehr als 20 Auftritte absolvieren. Und ich hoffe, dass der eine oder andere auch noch motiviert ist, gegen die Initiative zu kämpfen. Man muss sich bewusst sein: Keine grosse Firma kann mit einem Ja leben.

Bisher haben sich grosse Unternehmen nur vereinzelt zur 1:12-Initiative geäussert, wie etwa Kühne&Nagel-Aktionär Klaus-Michael Kühne. Auch grosse internationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz haben bisher geschwiegen. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung aus der Wirtschaft?
Die Bevölkerung ist darauf angewiesen, vor einer Abstimmung klar über deren Folgen aufgeklärt zu werden. Es ist also wichtig, dass sich die Wirtschaft zu Wort meldet – hier wünsche ich mir mehr persönliches Engagement. Es liegt in der Verantwortung der direkten Demokratie, die Bürger zu informieren.

Ist bisher genügend aufgeklärt worden?
Ganz klar nein. Denn: Grosse Firmen werden bei einem Ja zur 1:12-Initiative Konsequenzen ziehen müssen. Sie haben dabei zwei Möglichkeiten – entweder die Bestimmungen zu umgehen, oder wegzuziehen. Also würde ein Ja an der Urne dazu führen, dass Unternehmen gewisse Managerposten nicht mehr in der Schweiz besetzen würden. Es ist nicht im Interesse unseres Landes, wenn Entscheidungen nicht mehr in der Schweiz gefällt werden.

Werden bei einem Ja an der Urne weitere Firmen die Schweiz verlassen, wie das Klaus-Michael Kühne angekündigt hat?
Das kann ich nicht sagen. Aber eines ist klar: Schon die Umsetzung der Minder-Initiative wird dazu führen, dass Firmen die Schweiz verlassen werden.

Im Vorfeld der Abzocker-Initiative bauten die Gegner eine Drohkulisse vom «Massenexodus Schweizer Firmen» auf. Nach dem überwältigenden Ja von 68 Prozent stürzte diese Kulisse ein. Ist das der Grund, warum die Nein-Kampagne zu 1:12 bisher nicht den gewünschten Erfolg hat?
Im Vergleich mit der Abzocker-Initiative ist die aktuelle Kampagne zu 1:12 viel erfolgreicher. Die Initiative hat jetzt schon keine Chance mehr auf eine Mehrheit. Entscheidend wäre aber ein grosses Nein zur Initiative.

Manche halten ein Nein von 70 Prozent für nicht realistisch. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern?
Bisher hat sich die Schweiz in Abstimmungen immer wirtschaftsfreundlich gezeigt – Abstimmungen mit wirtschaftlichem Inhalt wurden immer sehr deutlich gewonnen, siehe etwa die abgelehnte Initiative zu sechs statt vier Wochen Ferien im Jahr. Es ist durchaus möglich, auch bei der 1:12-Initiative ein Verhältnis von 30:70 hinzubekommen. Man sollte sich Ziele setzen und auch dafür kämpfen.

Im «SonntagsBlick» zweifelt der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney daran, dass Grossbanken wie CS oder UBS bei einem Ja an der Urne aus der Schweiz wegziehen würden. Sie würden bei einem Wegzug ihre Staatsgarantie verlieren und bei einem Notfall nicht gerettet werden können. Was halten Sie von diesem Argument?
Die Aussage ist sachlich falsch – ich verstehe nicht, wie der Professor so etwas sagen kann. Mit den KMU-Krediten und dem Zahlungsverkehr sind UBS und CS in der Schweiz «too big to fail». Also müssen sie auch in der Schweiz gerettet werden, selbst wenn sie ihren Hauptsitz im Ausland haben. Diese Bemerkung ist eines Finanzprofessors unwürdig. 


Quelle: Tages-Anzeiger 21.10.13

^^^ Nach oben