Montag, 16. Dezember 2013

Für und Wider Windkraft in den Bergen

Im Lugnez sollen dereinst 40 Windanlagen Strom für 28'000 Haushalte liefern. Für diesen Ökostrom gibt es Subventionen – aber auch einen umstrittenen Zusatzbatzen.

Mehr Subventionen für Analgen in der Höhe: Höchst gelegenes Windrad von Europa auf 2'465 Meter beim Gries-Stausee im Kanton Wallis.

Es ist ein Projekt der Superlative: In der Surselva, auf dem Gemeindegebiet von Lugnez und Obersaxen, soll der grösste Windpark der Schweiz entstehen. Mit Standorten zwischen 2000 und 2500 Metern über Meer wird er zu den höchstgelegenen in Europa gehören. Auch der erhoffte Stromertrag sprengt alle Rekorde: Maximal 40 Windanlagen sollen bis zu 170 Gigawattstunden Strom pro Jahr liefern – mehr als eineinhalbmal so viel, wie aktuell die 34 grösseren Windturbinen im Land zusammen produzieren. Diese Menge würde für die Versorgung von 28'000 Haushalten reichen. Hinter dem Projekt stehen das auf Windkraft spezialisierte Unternehmen Altaventa und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ), das heute schon einen Teil Graubündens mit Strom versorgt.

Der Standort unweit des Skigebiets Obersaxen-Mundaun-Val Lumnezia weist gemäss Schweizer Windkarte ein im Grundsatz gutes Windpotenzial aus. Ob der Wind tatsächlich genug stark weht, ist gleichwohl fraglich. Seit 2010 laufen Messungen. Die Resultate sind noch nicht befriedigend. EWZ-Sprecher Harry Graf räumt ein: «Punkto Wirtschaftlichkeit sind wir noch nicht auf der sicheren Seite.» Um eine Anlage rentabel betreiben zu können, braucht es gemäss Experten nicht nur Windgeschwindigkeiten von 6 Metern pro Sekunde. Der Wind muss auch regelmässig wehen. Nun läuft eine weitere Messreihe. Resultate dürften im Frühjahr vorliegen.

Schub erhält das Projekt nun möglicherweise dank des Bundes. Ab 1. Januar 2014 kommen Windanlagen in den Bergen in den Genuss eines Höhenbonus. Heute wird jede Kilowattstunde Windstrom mit 21,5 Rappen subventioniert, einerlei, wo die Anlage steht. In Zukunft erhalten neue Anlagen auf 1700 Metern und höher maximal 2,5 Rappen mehr. Festgesetzt hat diesen Bonus der Bundesrat, als er unlängst neue Regeln für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für erneuerbare Energien festgeschrieben hat. Vom ersten bis dritten Quartal dieses Jahres betrug die ausbezahlte KEV-Gesamtvergütung knapp 220 Millionen Franken, an Windkraftanlagen gingen davon 6,5 Millionen. Der Löwenanteil kam Solarprojekten zugute. Berappen müssen die Subventionen die Stromkonsumenten. 

Mit dem Höhenbonus will der Bundesrat den speziellen Bedingungen im alpinen Gelände Rechnung tragen. Weil die Luft in der Höhe dünner und der Wind turbulenter ist, kann eine Anlage nicht so viel Strom produzieren wie im Flachland. Fachleute sprechen von Ertragseinbussen bis zu 25 Prozent. Zudem kostet es in diesen Höhen wegen Vereisung und der schlechten Zugänglichkeit mehr Geld, eine Anlage zu warten. Der Höhenbonus soll gemäss Bundesrat einen Anreiz bieten, Anlagen an alpinen Standorten mit «besten Windverhältnissen» zu erstellen.

EWZ-Sprecher Harry Graf spricht von einem «willkommenen Beitrag», der die Realisierungschancen des Projekts erhöhe. Er betont jedoch, der Höhenbonus allein genüge dafür nicht. Er werde jedoch zum «zusätzlichen Entscheidungselement», sofern die Wirtschaftlichkeit des Projekts nicht ganz gegeben sei. Graf dementiert Gerüchte, wonach das EWZ beim Bundesrat für den Höhenbonus lobbyiert habe.

Scharfe Kritik am Höhenbonus äussert die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). Es handle sich um einen schädlichen Subventionsanreiz, der dazu verleite, die letzten Naturräume zu verschandeln. Die SL erinnert den Bundesrat daran, dass die Schweiz die Alpenkonvention unterzeichnet habe und damit die Alpen in ihrer Ursprünglichkeit schützen müsse. Geschäftsleiter Raimund Rodewald verweist zudem auf Österreich und Südtirol, die ganz darauf verzichten würden, Windpärke auf ihren Bergen zu erstellen.

Widerstand hat sich auch vor Ort formiert. Die Gegner des Windparks haben sich in der Interessengemeinschaft Sezner - Um Su - Grenerberg zusammengeschlossen. «Die Schweiz ist kein Windland», sagt IG-Mitglied Martin Jäger und verweist auf besser geeignete Lokalitäten am und im Meer. Nachhaltig am Surselva-Projekt sei einzig die Zerstörung der Landschaft. Die Eingriffe in die hochsensible alpine Fauna und Flora stünden in keinem Verhältnis zum Energiegewinn. Dies umso weniger, als ein kantonales Landschaftsschutzgebiet vom Projekt tangiert werde. «Es entsteht ein Industriegebiet mit 40 Türmen von je 140 Meter Höhe oder noch höher», sagt Jäger. Diese «Verschandelung» torpediert nach Ansicht der Gegner auch die jahrzehntelangen Bemühungen der Gemeinden Lumnezia und Obersaxen, den sanften Tourismus zu fördern.

Doch das Projekt hat auch Befürworter. Sie erhoffen sich Aufwind für eine Region, die unter Abwanderung leidet – etwa dank neuen Arbeitsplätzen und Pachtzinsen in der Höhe von Hunderttausenden von Franken. Die ökonomischen Chancen streichen auch Altaventa und das EWZ hervor. Um die Akzeptanz für das Projekt zu erhöhen, haben sie früh einen runden Tisch mit den involvierten Gemeinden, Politikern, Umweltverbänden und Alpgenossenschaften ins Leben gerufen. Die Bündner Sektionen von Pro Natura und WWF können sich einen Windpark an dieser Lage vorstellen – allerdings nur unter der Bedingung, dass er möglichst nah beim Skigebiet gebaut wird. So beeinträchtige er kaum das kantonale Landschaftsschutzgebiet und tangiere das angrenzende nationale Schutzgebiet nicht.

Trotz der bisherigen Messresultate bezeichnen das EWZ und Altaventa den Standort als vielversprechend. Die Distanz zu bewohnten Gebieten sei gross, somit seien die Anlagen auch bei hohen Windgeschwindigkeiten nicht hörbar. Auch sei das Gebiet gut erschliessbar. Es führe bereits eine lastwagentaugliche Strasse bis auf 2100 Meter, weshalb Ausbauten nur punktuell erfolgen müssten. Dem widersprechen die Gegner: Für Zufahrtsstrassen und Bauplätze würden viele Hektaren Kultur- und Weideland geopfert, sagt Martin Jäger und warnt vor «öden Industriebrachen, die jahrzehntelang weithin sichtbar bleiben». 

Vorbehalte hat auch der Schweizerische Alpen-Club (SAC), der Windanlagen oberhalb von 1400 Metern in unverbauten oder unerschlossenen Gebieten ablehnt. Die SAC-Sektion Piz Terri hat Widerstand angekündigt für den Fall, dass eine Anlage auf dem Um Su (2357 m) gebaut wird. Auch verlangt sie weiterhin freie Sicht vom beliebten Skitourengipfel – auf ihren Hausberg Piz Terri (3149 m).

Die Reaktionen der Zürcher Politiker www.windpark.tagesanzeiger.ch

Quelle: Tages-Anzeiger 16.12.13

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Montag, 9. Dezember 2013

Körper heilt Seele

Neurowissenschaftler entdecken das Meditieren als Mittel gegen Stress, Angststörungen und Depressionen. Sich mit dem Geist zu befassen, führt gemäss ausführlichen Studien zu erstaunlichen (und positiven) Veränderungen im Gehirn.

Das Zähneputzen hat in einer Berliner Wohnung seit neuestem etwas Meditatives. Die 32-jährige Bewohnerin läuft nicht mehr hektisch mit der Bürste durch die Zimmer, um gleichzeitig andere Dinge zu erledigen, sondern sie hat die Reinigung zu einem Ritual gemacht. "Ich versuche zu erfassen, wie die Zahnpasta schmeckt und wie sich die Borsten auf dem Zahnfleisch anfühlen", sagt Hedwig Müller*, eine Studentin.

Sie hat bewegte Zeiten hinter sich. Als sie vor einigen Wochen endlich ihre Magisterarbeit fertigstellen wollte, litt sie plötzlich an einer Schreibblockade. Die junge Frau fühlte sich erschöpft und ging zum Hausarzt. Der verschrieb ihr Escitalopram, einen Wirkstoff gegen Depressionen, und stellte ihr eine Bescheinigung aus, dass sie die Magisterarbeit aus medizinischen Gründen nicht fristgerecht abliefern könne.

Es war in diesen Tagen, als Hedwig Müller den Aushang im Supermarkt sah. Darin wurden Menschen mit Antriebsstörungen und depressiven Verstimmungen gesucht, die statt Pillen ein ungewöhnliches Mittel ausprobieren sollten: Meditation. "Ich war überrascht, dass die Meditation helfen soll", sagt Müller. Zu Beginn der Studie ließ sie ihr Gehirn per Elektroenzephalograf und Kernspin von Psychologen der Freien Universität und der Charité Berlin untersuchen, dann übte sie die sogenannte Achtsamkeitsmeditation. Unterstützt durch Audio-CD und Handbuch meditiert sie jeden Tag. Sie bemüht sich, das Hier und Jetzt ganz bewusst zu erfassen - so auch beim Zähneputzen. 

Was sie beim Meditieren empfindet, das soll sie nicht bewerten, sondern offen und neugierig betrachten. Die ungewohnte Arbeit mit dem Geist mache Spaß, erzählt Müller. Ob sie ihr medizinisch hilft, das wird sie nach Abschluss der Studie wissen. Doch die Chancen stehen gut. Das geht aus einer Meditationsstudie mit 22 depressiven Frauen und Männern in Tübingen hervor. Zu den Probanden gehörte Thomas Schröder(*). Der schwäbische Familienvater, Mitte vierzig, hatte zuvor drei Krankheitsphasen erlebt, die so schwer waren, dass er wochenlang nicht aus dem Haus ging.

Schröder und die anderen Probanden lernten acht Wochen lang sanfte Yoga-Übungen sowie die Achtsamkeitsmeditation. Anfangs hatte Schröder, ein promovierter Arzt, seine Zweifel: Er fühlte sich der reinen Schulmedizin verpflichtet. Mit Meditation hatte er sich nie beschäftigt. Nun saß er im Lotossitz und dachte: Was mache ich hier? Doch je länger er die Arbeit mit dem Geist betrieb, desto besser gefiel sie ihm. Der Mediziner ist wieder in seinem alten Job tätig, als Produktmanager einer Firma für Krankenhausbedarf.
 
Er braucht keine Medikamente mehr - er meditiert jeden Tag. Was ihm da widerfahren ist, das hat Schröder im Fachblatt "Psychiatry Research" nachgelesen, in dem die Studie veröffentlicht wurde: Die Meditation hat die Biologie seines Gehirns verändert. Die federführenden Psychologen Vladimir Bostanov und Philipp Keune haben das entdeckt, indem sie das Gehirn der Probanden vor und nach dem Meditationskurs neurophysiologisch untersuchten. Sie spielten ihnen bestimmte Töne vor und maßen die elektrische Aktivität der Hirnzellen. Das Ergebnis: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe reagierte das Gehirn nach dem achtwöchigen Meditationskurs deutlich stärker auf die akustischen Reize. Es hatte gelernt, nicht mehr andauernd zu grübeln - und brachte die frei gewordenen Ressourcen den Tönen entgegen.

Die Messkurven des Elektroenzephalogramms passen wunderbar zu den Erfahrungen Schröders und der anderen Studienteilnehmer. Viele von ihnen können endlich wieder klar denken. "Das Meditieren hilft den Patienten, ihre Aufmerksamkeit zu steuern", sagt Keune. "Dadurch verlieren sie sich weniger häufig in negativen Gedanken." Wie Keune erforscht auch die junge Psychologin Bethany Kok die heilende Kraft des Geistes. Die US-Amerikanerin untersucht den sogenannten Vagusnerv. Der läuft vom Hirnstamm den Hals entlang durch die Brusthöhle bis zu den Eingeweiden und endet in vielen Verästelungen (sein Vagabundieren hat ihm den Namen "Vagus" eingebracht). Er versorgt die äußeren Gehörgänge, den Schlund, den Kehlkopf, die Lunge, den Magen, den Darm und das Herz.
 
Beim Einatmen schlägt das Herz oftmals etwas schneller als beim Ausatmen. Dieser Unterschied ergibt den Spannungszustand des Vagusnervs. Ein hoher Tonus bürge für eine geregelte Verdauung, sagt Bethany Kok, und helfe beim Orgasmus. Auch sei er unverzichtbar für soziale Kontakte. Der Blick in die Augen, das einfühlsame Lächeln und das zustimmende Nicken - all das laufe ebenfalls über den Vagusnerv. Wäre es nicht großartig zu erfahren, wie man den Tonus dieses Tausendsassas erhöhen kann? Zusammen mit Kollegen der University of North Carolina in Chapel Hill unternahm Kok ein Experiment: Neun Wochen lang notierten 65 Frauen und Männer jeden Abend auf einem Fragebogen die guten und die schlechten Gefühle und Erlebnisse des Tages. Zusätzlich absolvierte die Hälfte von ihnen einen Meditationskurs, der Gefühle wie Liebe, Wohlwollen und Mitgefühl förderte. Das Ergebnis hat die Gruppe um Kok im Fachblatt "Psychological Science" präsentiert: Im Unterschied zur Kontrollgruppe ist der Vagotonus der Meditierenden deutlich gestiegen. "Wer sich mit guten Gefühlen versorgt, der verbessert den Tonus des Nervus vagus", sagt Kok, die mittlerweile ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gewechselt ist. "Das wiederum ist mit guter Gesundheit verbunden - und könnte zu einem längeren Leben führen." Es sei der Geist, der sich den Körper baue, schrieb Friedrich Schiller einst in seinem Drama "Wallenstein". Zug um Zug erkennt die Meditationsforschung, wie richtig der Dichter - und examinierte Arzt - damit lag: Die Seele kann den Leib verändern.

Die Erkenntnis befreit die Meditation vom Ruch des Esoterischen. Ihre Erfolge sind verbunden mit messbaren Veränderungen im Gehirn. An vielen Universitätskliniken machen Psychologen und Ärzte sich daran, aus dem Buddhismus und dem Hinduismus stammende Meditationstechniken mit der modernen Medizin zu vereinen. Mönche und Yogis zeigen, wie man auf dem Weg ins Nirwana zugleich auch Erkrankungen behandeln kann.
Niemand behauptet, man könne Krankheiten gleichsam wegdenken. Jedoch hat das Meditieren einen Einfluss auf die Gesundheit, den Ärzte und Psychologen bisher viel zu selten nutzten.

Nun aber wächst die Zahl der Veröffentlichungen zum medizinischen Meditieren exponentiell. "Das Feld plätscherte lange Zeit dahin. Doch jetzt verhelfen ihm die Neurowissenschaften zu einem Boom", sagt Ulrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen. Ob Yoga, Tai-Chi, Qigong oder Achtsamkeit - das Meditieren sei nicht mehr auf religiöse Kontexte beschränkt: "Es wird in Kliniken zur Behandlung von Patienten eingesetzt, denen es um eine Besserung ihrer Symptome geht und nicht um spirituelle Erleuchtung."

In seinem Buch "Meditation für Skeptiker" erklärt Ott den Weg zum Selbst: Meditieren diene dazu, "das Bewusstsein zu erweitern und sich von eingefahrenen Denkmustern und Verhaltensweisen zu lösen". Jeder könne lernen, das innere Befinden "in Richtung Ruhe und Gelassenheit zu verändern". Und das wirkt besser als manche Medizin: Am Massachusetts General Hospital im amerikanischen Boston setzten 15 Frauen und Männer ihren Geist wie eine Arznei ein. Sie waren anfangs verspannt, schlafgestört und geplagt von Sorgen. Generalisierte Angststörung lautete ihre Diagnose. Acht Wochen lang nahmen sie an einem Kurs zur Achtsamkeitsmeditation teil. Und der tat ihnen gut: Sie konnten ihre Ängste besser beherrschen und fanden wieder mehr Schlaf.

Das Gehirn war auf wohltuende Weise verwandelt, wie die Untersuchung im funktionellen Kernspin offenbarte: Nach dem Meditieren waren Teile der vorderen Hirnrinde (präfrontaler Kortex) verstärkt durchblutet - also genau jene Areale, die für das Regulieren von Gefühlen wichtig sind. Überdies erschien die Verbindung zwischen präfrontalem Kortex und dem Angstzentrum des Gehirns, der Amygdala, stärker ausgeprägt als bei Vergleichspatienten, die nicht meditiert hatten. 

Die Psychologin Britta Hölzel konnte im Gehirn-Scanner gleichsam zugucken, wie das Meditieren die Angst vertrieb. "Der präfrontale Kortex nimmt die erhöhte Aktivität der Amygdala wahr, ohne sie zu unterdrücken", sagt Hölzel, deren Studie im Fachblatt "NeuroImage: Clinical" erschienen ist. "Der Mensch lässt die Dinge so sein, wie sie sind. Und genau deshalb ist er nicht mehr so ängstlich und so aufgewühlt."


Von der Achtsamkeit bis zum Zen reichen die Schulen der Meditation. Jeder solle die Technik wählen, die ihm am besten gefalle, rät der Gießener Psychologe Ott. "Bei manchen meditativen Verfahren wie dem Tai-Chi, Qigong, Drehtanz der Sufis, einigen Varianten des Yoga, der Gehmeditation des Zen und der dynamischen Meditation nach Osho stellen Bewegungen des Körpers einen zentralen Aspekt der Methode dar", sagt er. Die stillen Methoden dagegen legten Wert auf das Verharren im Sitzen oder in einer anderen Körperhaltung.

Noch ist nicht erforscht, welche Art der Meditation am besten taugt, aber Ärzte und Psychologen verschreiben häufig die sogenannte Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), das ist jenes Acht-Wochen-Programm, das Thomas Schröder in Tübingen so gutgetan hat. Dass MBSR in der westlichen Medizin so beliebt geworden ist, liegt an Jon Kabat-Zinn, Jahrgang 1944. Der mittlerweile emeritierte Professor der University of Massachusetts Medical School in Worcester verband Elemente aus dem Buddhismus mit der westlichen Naturwissenschaft, um kranken Menschen zu helfen. Heute ist MBSR in vielen Kliniken verbreitet und hat sich gegen Stress, Depression, Angststörungen und Schmerzen bewährt.

Sprechstunde: Diese Techniken helfen bei Stress am besten
Sprechstunde: Raus aus der Depression  

Quelle: Auszug aus Artikel Spiegel 9.12.13

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Sonntag, 1. Dezember 2013

Bitcoin oder die Sache mit dem Geld

Weil Bitcoin immer populärer wird, überlegen sich immer mehr Regierungen weltweit, wie sie mit der künstlichen Währung umgehen sollen. Auch die Schweiz diskutiert darüber.

«Es ist wie bei der Luftgitarre», sagt Jon Matonis. «Sie existiert nur, weil alle Beteiligten daran glauben.» Matonis ist Geschäftsführer der Bitcoin-Stiftung und damit Cheflobbyist einer Währung, die – wie die Luftgitarre – physisch nicht existiert. Und dennoch sind im Moment jeden Tag Zehntausende von Menschen bereit, über 1000 real existierender Dollars gegen eine Einheit der Luftgitarren-Währung zu tauschen.

Für Aussenstehende ist das Phänomen schwer verständlich. Es gibt Börsen, an denen reales Geld in Bitcoins getauscht werden kann und mindestens einen Bancomaten, der Bargeld gegen elektronisches Bitcoin-Guthaben wechselt. Es gibt Online-Shops, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren und in gewissen Gegenden – Berlin Kreuzberg etwa – auch mehrere Geschäfte, in denen man mit Bitcoins bezahlen kann.

Kaum Gebühren, aber volatil
Das virtuelle Geld muss einfach via Smartphone-App von einem elektronischen Portemonnaie ins andere verschoben werden. Theoretisch wäre das sogar attraktiv: Verglichen mit Kreditkartenzahlungen fallen kaum Gebühren an. Allerdings schwankt der Wert einer Bitcoin im Moment so stark – an gewissen Tagen um mehrere 100 Dollar innert weniger Stunden –, dass das Bezahlen eines Kaffees zum spekulativen Akt verkommt.
Bitcoin wurde 2008 von einem anonymen Programmierer entwickelt, basierend auf einer politischen Ideologie: Die Währung sollte ohne Einmischung eines Einzelnen – oder eines Staates - existieren. Sie sollte günstig und ohne Mittelsmann austauschbar sein, auch wenn sich die Beteiligten weder kennen noch vertrauen. Und sie sollte die finanzielle Privatsphäre garantieren: Wer wie viel davon besitzt und wofür er es ausgibt, sollte niemanden etwas angehen. Es sollte eine Währung sein, die ähnlich funktioniert wie Gold.

Der Zufall hat die Hand im Spiel
Statt von einer Zentralbank wird das System darum von einem dezentralen Netz aus den Computern von Freiwilligen betrieben – einer modernen Spezies der Goldgräber. Diese beteiligen sich an einer Art Lotterie: Im Wettlauf mit anderen sollen ihre spezialisierten Computer möglichst schnell ein mathematisches Rätsel lösen. Je schneller der Computer, desto grösser die Chance, die Lösung als Erster zu finden. Trotzdem entscheidet am Ende der Zufall. Der Gewinner erhält den fiktiven Rohstoff – neue Bitcoins.

Mittlerweile grassiert ein wahrer Bitcoin-Rausch: Die Computer, deren einziger Zweck es ist, Bitcoins zu schürfen und das System zu unterhalten, besitzen bereits über hundertmal so viel Rechenleistung wie die 500 schnellsten Supercomputer der Welt. Sie verbrauchen dabei rund 110'000 Megawattstunden Strom pro Tag – so viel wie 24'500 Schweizer Haushalte in einem Jahr. Als Nebenprodukt dieses Wettlaufs bewirtschaften die Computer ein öffentliches Register, in dem jede Transaktion gespeichert ist, die jemals mit Bitcoins gemacht wurde. Anhand des Registers überprüfen immer mehrere Rechner gleichzeitig eine Überweisung auf ihre Legitimität. «Das macht das System so sicher», sagt Bitcoin-Experte Matonis.

Die steigende Popularität von Bitcoin hat Regierungen auf der ganzen Welt aufgeschreckt. Nicht nur die USA und China beschäftigen sich damit, ob und wie sie mit Bitcoin umgehen wollen. Auch in der Schweiz wird der Nationalrat demnächst beraten, ob er den Bundesrat mit einer Risikoanalyse beauftragen soll. 

Gleichzeitig warnen Ökonomen vor einer Blase gigantischen Ausmasses: Zwar basiert das Bitcoin-Programm auf einer Geldtheorie und auf ökonomischen Kriterien. Zum Beispiel ist die Geldmenge nach oben beschränkt: Bis ins Jahr 2140 werden maximal 21 Millionen Bitcoins ausgegeben. Dadurch steigt der Wert einer Einheit automatisch, je mehr Menschen sich dafür interessieren. Zwar macht das Bitcoin attraktiv in Ländern, in denen Inflation herrscht und der Kapitalverkehr beschränkt ist – wie etwa in China. Für viele Ökonomen führt aber gerade das unvermeidlich zum Kollaps. Denn wenn der Wert von Bitcoins stetig steigt, wer will sie dann noch ausgeben? Und wenn niemand mehr etwas damit kauft, funktioniert die Bitcoin-Wirtschaft nicht mehr.

Plattform für Überweisungen
Trotz aller Kritik und Absurditäten gibt es eine Diskussion darüber, was für einen Platz virtuelle Währungen in der realen Welt einnehmen könnten. Das Bitcoin-System wurde bereits Dutzende Male kopiert, das Portal Coinmarketcap.com listet 36 ähnliche virtuelle Währungen auf. Keine davon ist im Moment auch nur annähernd so gross. Alle versuchen, die Schwächen von Bitcoin auszumerzen – und sei es nur der Stromverbrauch.

Interessant ist ein Dienst namens Ripple, der zwar auch eine gleichnamige Währung kennt, sich aber auf seine Funktion als Überweisungsplattform fokussiert. Genau dort sehen viele Experten den wahren Wert einer virtuellen Währung: In der Möglichkeit, günstig und barrierefrei Geld in die ganze Welt zu verschicken. Nicht zuletzt, weil es bereits einen Markt gibt: 2013 werden Emigranten laut Weltbank 550 Milliarden Dollar an ihre Familien schicken.

Quelle: Tages-Anzeiger 2.12.13

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Montag, 25. November 2013

Dank verletztem Urheberrecht Mio.

Der Fotograf Daniel Morel veröffentlichte Bilder auf Twitter, eine Agentur griff ungefragt zu und muss deshalb nun viel Geld zahlen. Morel klagte auf 120 Millionen Dollar Schadensersatz. Eine Jury hat jetzt entschieden, wie viel er tatsächlich bekommen soll. 

Der US-Fotojournalist Daniel Morel hat 2010 spektakuläre Bilder von dem schweren Erdbeben auf Haiti gemacht und auf Twitter veröffentlicht. Die französische Presseagentur AFP griff zu und verwertete die Bilder ohne seine Zustimmung weiter. Morel forderte eine Entschädigung, die AFP setzte auf eine richterliche Klärung. Morel verlangte 120 Millionen Dollar Entschädigung von der AFP und bekam im Januar dieses Jahres Recht: AFP und die Bilderagentur Getty Images verstießen bei der Weiterverbreitung seiner Bilder gegen das amerikanische Urheberrecht. 

Jetzt hat ein US-Bundesgericht die Höhe der Entschädigung festgelegt: AFP und Getty Images müssen dem Fotografen 1,2 Millionen Dollar zahlen. Das ist die höchste Strafzahlung, die das US-Recht in einem solchen Fall vorsieht. Der Fall dürfte den kommerziellen Umgang mit "im Internet gefundenen" Bildern beeinflussen. 

AFP verkauft die Fotos an Getty und andere Portale
Morel lud noch am Morgen des Erdbebens 17 Fotos bei Twitter hoch, wie das "British Journal of Photography" berichtet. Von einem anderen Twitter-Mitglied wurden sie weiterverbreitet, ohne dass der Name des Urhebers klar ersichtlich war. Auf dessen Profil wiederum entdeckte ein Bildredakteur der Presseagentur AFP die Bilder und verbreitete sie über die Fotoportale Wapix, Getty Images und ImageForum - zunächst mit einer falschen Urheberangabe, die aber später korrigiert wurde.

An den folgenden Tagen präsentierten zahlreiche große Medien Daniel Morels Bilder des Unglücks, unter anderem ABC, CBS und CNN. Allein Getty soll Morels Bilder 820 mal verkauft haben, ohne dass der Fotograf etwas davon hatte. Von anderen Medien bekam Morel bereits Entschädigungszahlungen. Mit ABC, CBS und CNN hat er sich außergerichtlich geeinigt. Wie viel Geld Morel dabei erhalten hat, wurde nicht öffentlich gemacht.  Die AFP bezeichnete die unrechtmäßige Veröffentlichung als "unschuldigen Fehler" und schob die Schuld auf das Twitter-Mitglied, welches zunächst die Fotos weiterverbreitete. 

Retweets erlaubt, Weiterverkauf nicht
Der Fotodienst Getty Images betont dagegen, nur eine passive Rolle bei der Verbreitung gespielt zu haben, da man die Bilder über einen automatischen Feed von AFP erhalten habe. Für zusätzliche Brisanz sorgt die Tatsache, dass Morel einen Vertrag mit der konkurrierenden Agentur Corbis hat. Der Fall ist wichtig, weil er die Verwendung von Bildern auf Twitter klarstellt: Nach Ansicht des Gerichts erlaubt Twitter zwar die ungefragte Weiterverbreitung von Bildern innerhalb des Kurznachrichten-Netzwerkes, aber eben nicht deren kommerzielle Verwertung. Das Urteil stärkt Rechte von UrheberInnenn, die über Twitter Werke verbreiten.

Quelle: Spiegel 25.11.13

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Grünes Licht für Gemeindefusion

Die Zürcher Oberländer Gemeinden Bauma und Sternenberg werden am 1. Januar 2015 zusammengeschlossen. Die Stimmberechtigten sagten deutlich Ja zum Fusionsvertrag.

Bauma hiess den Zusammenschluss mit 1018 zu 718 Stimmen gut, in Sternenberg (siehe Bild) votierten 144 Stimmende für und 53 gegen die Fusion. Die Stimmbeteiligung lag in Bauma bei 60,65 Prozent, in Sternenberg bei 75,3 Prozent. Das kleine Sternenberg büsst beim Zusammenschluss Namen und Ortswappen ein. Dafür wird seine finanzielle Situation entschärft. So müssen die Sternenberger künftig weniger Steuern zahlen: Ab In-Kraft-Treten der Fusion gelten die 117 Prozent von Bauma. Bisher hat Sternenberg einen Steuerfuss von 124 Prozent.

Neue Gemeinde Bauma
Die neue Gemeinde heisst Bauma und trägt auch das Ortswappen des heutigen Bauma. Vereine und Privatpersonen dürfen gemäss Vertrag aber weiterhin das Sternenberger Wappen benutzen. Die gemeinsame Gemeindeverwaltung hat ihren Sitz in Bauma, aber auch Sternenberger können Behörden-Mitglieder sein. Nach wie vor beide Vertragsgemeinden verfügen über einen Friedhof, und auch eine Abfallsammelstelle wird in Sternenberg weiter betrieben - diese beiden Punkte waren besondere Anliegen der Bevölkerung.

3,5 Millionen Franken vom Kanton
Der Kanton unterstützt die Fusion mit 3,5 Millionen Franken. Vom Zusammenschluss betroffen sind die politische und die Schulgemeinde, die Kirchgemeinden sind vorderhand nicht einbezogen. Die Arbeiten im Hinblick auf den Zusammenschluss beginnen im kommenden Jahr. Sternenberg ist die höchstgelegene Gemeinde im Kanton Zürich. Sie liegt auf rund 900 Meter über Meer und zählt rund 330 Einwohnerinnen und Einwohner. In Bauma leben rund 4200 Einwohnerinnen und Einwohner.Das künftige gemeinsame Gemeindehaus in Bauma soll allerdings nicht saniert werden. Die Baumer Stimmberechtigten verwarfen den dafür nötigen Kredit mit 996 Nein zu 744 Ja.

Fusionen im Kanton Zürich äusserst selten
Fusionen unter den heute 171 Gemeinden im Kanton Zürich sind eine absolute Rarität. Seit den letzten Eingemeindungen in die Stadt Zürich 1930-er Jahren schlossen sich erst zwei Gemeinden zusammen: Wiesendangen und Bertschikon. Nun folgen Bauma und Sternenberg. Und auch das kleine Kyburg hat sich entschlossen, sich an einen grösseren Partner anzulehnen: Am Sonntag beauftragten die Stimmberechtigten ihren Gemeinderat, mit Illnau-Effretikon einen Zusammenschluss vorzubereiten.Hofstetten erwägt ein Zusammenspannen mit Elgg. Der 2012 in Kraft getretene Finanzausgleich will der Kanton kleinen Gemeinden einen Anreiz zum Fusionieren zu geben. 

Quelle: Tages-Anzeiger 25.11.13

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Sonntag, 17. November 2013

Bono kapituliert vor Handelsgericht

Die Anwältin Caroline Bono hat ihre Klage gegen die Zürich-Versicherung zurückgezogen. Damit endet eine Auseinandersetzung, die vor 11 Jahren mit einem Auffahrunfall am Bürkliplatz begonnen hatte.

Caroline Bonos Brief ans Zürcher Handelsgericht ist drei Seiten lang und endet mit folgendem Satz: «Unter Berücksichtigung aller Umstände und des Verfahrensablaufs an Ihrem Gericht ist offensichtlich, dass ich eine materielle, objektive Beurteilung meines Falles nicht erwarten darf.» Sie habe «momentan weder die Kraft noch das Geld, um die gerichtliche Auseinandersetzung weiterzuführen», erklärt Bono bei einem Treffen im Zürcher Seefeld. Mit dem Rückzug der Klage gegen die Zürich-Versicherung wolle sie aber auch verhindern, dass ein Urteil gesprochen und künftig dazu benützt werde, «berechtigte Forderungen von anderen Unfallopfern pauschal auf der Basis von fragwürdigen Berechnungen der Auffahrgeschwindigkeit abzuschmettern».

Vor elf Jahren, am 19. November 2002, war die Juristin Opfer eines Auffahrunfalls am Bürkliplatz geworden. Für die Zürich, involviert als Haftpflichtversicherung der fehlbaren Lenkerin und Unfallversicherung von Bono, war von Anfang an klar: Die Wucht des Aufpralls habe «deutlich unter dem Schwellenwert gelegen, ab dem eine Verletzung der Halswirbelsäule bei Auffahrunfällen in der Regel als möglich betrachtet wird.» Zu diesem Schluss war die Zürich auf der Basis eines biomechanischen Gutachtens gekommen, das ihre hauseigenen Spezialisten mithilfe der Unfallfotos erstellt hatten. Eine ärztliche Begutachtung Bonos gab es nicht, obwohl sie nur Tage nach dem Unfall notfallmässig für mehrere Wochen hospitalisiert werden musste. 

Am Unfalltag war in der Notfallaufnahme des Spitals lediglich ein Schleudertrauma festgestellt geworden – eine Fehldiagnose, wie sich erst fünf Jahre später zeigen sollte. Als die Beschwerden nicht abklangen, sondern unerträglich blieben, stellten Ärzte fest, dass Bono unter den Folgen von Nackenverletzungen litt, die man am Unfalltag auf den Röntgenbildern übersehen hatte. Zudem wurden – ebenfalls erst im Nachhinein – beträchtliche Hirnverletzungen radiologisch diagnostiziert.

Nach eingehender Untersuchung vertreten mittlerweile rund ein Dutzend Fachärzte die Meinung, dass sich Bono diese Verletzungen beim Unfall im Jahr 2002 zugezogen haben müsse. Das Handelsgericht liess diese neuen ärztlichen Befunde aber nie als Beweismittel, sogenannte Noven, zu. Die Richter beharrten vielmehr auf ihrer Überzeugung, dass familiäre und berufliche Überlastung der getrennt lebenden vierfachen Mutter und Anwältin für die Beschwerden verantwortlich seien und nicht «das banale Auffahrereignis». Das Bundesgericht schloss sich dieser Meinung an.

Erst als der TA aufdeckte, dass einer der involvierten Handelsrichter die Zürich-Versicherung praktisch zeitgleich als Rechtsanwalt vor demselben Gericht vertreten hatte, kam wieder Bewegung in die Sache. Das Bundesgericht hob das Urteil auf und gab den Fall «zur weiteren Behandlung» zurück. Freilich ohne zu definieren, was unter «weiterer Behandlung» zu verstehen sei.

Bono schöpfte Hoffnung, die ärztlichen Gutachten im Rahmen einer neuen Beweisaufnahme endlich vorlegen zu können. Mut machte ihr insbesondere die Einschätzung des emeritierten Zürcher Rechtsprofessors Karl Spühler, eines Experten auf dem Gebiet der Zivilprozessordnung. Für ihn war klar, dass das Handelsgericht im Fall Bono nach neuem Prozessrecht noch einmal ganz von vorn beginnen musste.
Doch das Handelsgericht entschied sich für das alte Prozessrecht und gegen ein neues Beweisverfahren. Mit der Begründung, der betreffende Richter habe das Mandat der Zürich erst in der letzten Phase der Beweisaufnahme übernommen. Bis dahin sei er (noch) nicht befangen gewesen; frühere Verfahrensschritte müssten nicht wiederholt werden. Die Tatsache, dass der Richter über Jahre bei der Winterthur-Versicherung und der Zürich-nahen XL Insurance in leitender Stellung tätig gewesen war, ehe er sich selbstständig gemacht hatte, um als Anwalt Mandate grosser Versicherungsgesellschaften zu übernehmen und zugleich Handelsrichter zu werden, genügte dem Handelsgericht nicht, um eine Befangenheit oder auch nur den Anschein einer Befangenheit nachzuweisen.

In dieser ausweglosen Lage schrieb Bono einen offenen Brief an Bundesrat Alain Berset und Josef Ackermann, den damaligen Präsidenten der Zürich-Versicherung. Auf zehn Seiten schilderte sie ihren Fall detailliert und bat um Vermittlung: «Vielleicht können Sie mir eine Türe aufstossen?» (TA vom 15. Juli).

Das Echo war ernüchternd. Für die Zürich antwortete der Sekretär des Verwaltungsrats: «Wir bitten um Verständnis, dass weder die Zürich noch deren Verwaltungsratspräsident sich ausserhalb eines laufenden Gerichtsverfahrens zu Ihren Anliegen äussern können. Es wird nun Sache des Gerichtes sein, über den Ausgang der Angelegenheit zu entscheiden.» Gesundheitsminister Berset schrieb: «Mir ist bewusst, dass das tägliche Leben uns alle in Schwierigkeiten bringen kann und dass die oft dadurch entstehenden erhöhten Anforderungen meist nur durch besondere Anstrengung der Betroffenen bewältigt werden können. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut, diese Lebensumstände zu meistern.» 

So entschloss sich Bono, die Klage zurückzuziehen, denn: «Ohne neue Beweisaufnahme haben wir keine Chance.» Dem Handelsgericht wirft sie vor, es sei «augenscheinlich», dass es mit allen Mitteln die Absicht verfolgt habe, den Prozess «abzuwürgen». Das Vorgehen sei mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht zu vereinbaren.
Seit 2003 erhält Bono keine Versicherungsleistungen mehr. Auch nicht von der IV, die sie vor drei Jahren nach der Abklärung bei einer Medas in ihrem Beruf als Anwältin für 80 Prozent arbeitsfähig erklärt hat. Bono hatte den Wiedereinstieg jahrelang versucht, aber es ging nicht; sie konnte und kann sich komplexe Zusammenhänge schlicht nicht mehr merken. Bei Bekannten hoch verschuldet, ist sie inzwischen bei der Sozialhilfe gelandet. Nach einer Weiterbildung will sie nun versuchen, als freiberuflicher Coach zu arbeiten. Weder die Zürich noch das Handelsgericht wollen zum Fall Bono einen abschliessenden Kommentar abgeben.

Siehe auch Kommentar hier >>>

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnet 18.11.13

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Montag, 11. November 2013

Suffizienz neu denken

Anders konsumieren und wirtschaften – Suffizienz neu denken - 300 Jahre Nachhaltigkeit – eine Idee feiert Geburtstag. Trotz der Rio-Deklaration für eine nachhaltige Entwicklung und einer breiten öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskussion, braucht es aus Sicht des deutschen Öko-Instituts weitere Anstrengungen, damit wir auch künftig Ressourcen und Energie nutzen können, ohne die Ökosysteme und das Klima zu zerstören. 

Vor allem unsere Konsummuster sind bislang wenig nachhaltig – der Verkehr wächst, der Fleischkonsum nimmt zu, der Energieverbrauch steigt. Zusätzlich zu den bewährten Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz – also gleiches Konsumniveau mit weniger Ressourceneinsatz oder alternativen Technologien zu erreichen – braucht es deshalb Ideen, die Konsummuster selbst zu verändern. Im Fachjargon spricht man von Suffizienz. Hier ist vor allem die Politik gefragt, wie das Öko-Institut in einer aktuellen Analyse zeigt.

Suffizienz? Beispiele für einen nachhaltigeren Konsum

Suffizientes Handeln hat viele Facetten. Beispielsweise umfasst Suffizienz, weniger (ressourcenintensive) Produkte zu kaufen oder nutzen (z.B. Verzicht auf eine Fernreise, öfter mal das Rad statt das Auto nutzen) bzw. solche mit geringerer Gütergröße, -funktionen oder -komfort zu konsumieren (z.B. kleinere Wohnung, Auto ohne Klimaanlage, weniger Fleisch essen). Es  kann aber auch um ein umweltfreundlicheres Nutzungsverhalten gehen (z.B. geringeres Tempo auf Autobahnen), um verlängerte Produktnutzung (z.B. Handys nicht alle Jahre wechseln) oder die gemeinsame Nutzung (z.B. Nachbarschaftsauto) bei Produkten, bei denen dies ökologisch vorteilhaft ist.

Suffizienz braucht politische Rahmenbedingungen

In seinen Arbeiten zum Thema Suffizienz stellt das Öko-Institut heraus, dass es nicht allein um Veränderung im individuellen Verhalten geht. Vielmehr brauche es Veränderungen in vielen Bereichen: bei Technologien, Märkten und Infrastrukturen, Wissen, Werten und Leitbildern. Dafür muss die Politik entsprechende Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Wirtschaft und Verbraucherinnen und Verbrauchern vorgeben.

„Nur wenn ökologisches Handeln des Einzelnen gefördert und nicht etwa gehemmt wird, kann es gelingen, eine umfassende Wende herbeizuführen“, sagt Franziska Wolff, Sozialwissenschaftlerin am Öko-Institut. „Die Politik muss nachhaltiges Verhalten anregen und fördern. Dafür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die mit bewährten Instrumenten zusammenspielen sollten.“

Politikinstrumente: Sorgfältiges Abwägen nötig

In seiner Kurzstudie schlägt das Öko-Institut vor, dass künftig politische Maßnahmen neben Effizienz und Konsistenz verstärkt auch suffizientes Verhalten fördern sollen. Hierfür gibt es bereits jetzt Ansatzpunkte – wie radfahrerfreundliche Stadtplanung, kommunale Nutzen-statt-Besitzen-Angebote, die ökologische Steuerreform, Produktstandards oder Gewährleistungsfristen. Diese gilt es systematisch auszubauen.

Grundsätzlich sollte der Eingriff im Verhältnis zum Entlastungspotenzial stehen. Bei der Gestaltung von Instrumenten muss der Gesetzgeber stets die Faktoren persönliche Freiheit, verfassungsrechtliche Grenzen, gesellschaftliche Akzeptanz und Auswirkungen auf die Wirtschaft sorgfältig abwägen. Zudem gilt es eine überproportionale Belastung niedriger Einkommen zu vermeiden.

Suffizienz ist mehr als Verzicht

Die Beispiele für Suffizienz zeigen, dass man zwar auf Manches verzichtet („langsamer vorankommen“), aber auch an Lebensqualität gewinnt („sich gesünder fortbewegen“, „nicht im Stau stehen“). Angesichts der Kosten und Konflikte rund um manche technologische Entwicklung kann Suffizienz auch gesellschaftlich manches Mal die einfachere, kostengünstigere, weniger konfliktträchtige – ja, die elegantere Lösung sein.

„Wir sehen außerdem, dass Effizienzgewinne häufig von Konsumsteigerungen aufgefressen werden‘“, erläutert Dr. Corinna Fischer, Expertin für nachhaltigen Konsum am Öko-Institut. „Fernseher werden effizienter, aber größer und mehr. Um den Naturverbrauch auf ein nachhaltiges und verallgemeinerbares Maß zu beschränken, brauchen wir neben Effizienz und Konsistenz auch langfristige, strukturelle Änderungen in unserem Verhalten.“

Montag, 4. November 2013

Vom Schutz der Persönlichkeit

Leserin Milena P.* sah sich beim Salatessen im Freien unverhofft einer fliegenden Kamera gegenüber. Darf sie einfach so gefilmt werden? Tagesanzeiger.ch/Newsnet klärte den Fall ab.


 
Milena P.* sitzt in einer Gartenwirtschaft am Greifensee bei Niederuster und hört dieses hochfrequente Surren näher kommen, das entfernt an einen Zahnarztbohrer erinnert. Sie schaut sich um und blickt in die Linse einer Gopro-Kamera, die an dem Quadrocopter montiert ist, der fünf Meter über ihr schwebt. «Ich will in Ruhe essen, und mich stört es, wenn mir ein fliegendes Auge in den Teller guckt», sagt die junge Frau. «Ich habe mich umgeschaut, der Typ mit der Fernsteuerung war nirgends zu sehen.» Das Fluggerät ist nach einigen Sekunden weitergeflogen und hat eine empörte Milena P. zurückgelassen. «Ich will mich doch nicht auf Youtube sehen, wie ich einen Salat esse.» Alle Gäste in der gut besetzten Wirtschaft seien von der Drohne gestört worden, und einige hätten beim Besitzer intervenieren wollen, sagte sie weiter.

Szenenwechsel. Ein Balkon in der dritten Etage mit Blick auf Quartierstrasse und Nachbarhäuser in Zürich-Wiedikon. Ingo C.* sitzt auf dem Balkon, raucht eine Zigarette und trinkt Kaffee. «Ich wollte gerade telefonieren, da hörte ich erst das Surren, und dann tauchte dieses Ding keine zwei Meter vor mir auf.» Der Familienvater wollte sich nicht filmen lassen. «Ich habe mir den Besen gegriffen und wollte das Gerät aus der Luft fegen, aber da war es schon weggeflogen.» Auch Ingo C. hat niemanden mit einer Fernsteuerung gesehen. «Haben die eigentlich keinen Respekt vor der Privatsphäre anderer Leute?»

Die beiden sind keine Einzelfälle. Quadrocopter können ein ganzes Restaurant verärgern, aber kaum jemand würde wegen eines solchen Fluggerätes Anzeige erstatten, wie Judith Hödl, Mediensprecherin der Stadtpolizei Zürich, bestätigt: Bisher seien keine Anzeigen erstattet worden – weder wegen Lärmbelästigung noch wegen Verletzung der Privatsphäre. Das könnte auch einen anderen Grund haben. Milena P. wusste nach eigenen Angaben gar nicht, dass sie sich rechtlich gegen das fliegende Auge wehren könnte.

Im Büro des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) verfolgt man die Entwicklung mit wachsendem Interesse. Mediensprecherin Eliane Schmid: «Seit solche Geräte immer billiger werden, wächst das Gefährdungspotenzial für die Privatsphäre kontinuierlich an. Wir werden die Entwicklung im Auge behalten.»

In beiden eingangs geschilderten Fällen sieht Schmid einen Verstoss gegen das Datenschutzgesetz: «Wer erkennbare Personen aufnimmt, benötigt einen Rechtfertigungsgrund, also die Einwilligung der Betroffenen.» Ein Verstoss liegt auch vor, wenn «Aufnahmen von normalerweise nicht einsehbaren Orten gemacht werden». Als Beispiel führt Schmid das Bundesgerichtsurteil zu Google Street View an. Demnach muss Google die Aufnahmegeräte auf den Autos tiefer anbringen, weil die Kameras Einblicke in umfriedete Höfe oder über Hecken gewährt haben, die sonst für einen Passanten oder Automobilisten nicht einsehbar gewesen wären. «Wenn ein solcher Drohnenpilot beispielsweise durch ein Fenster ins Wohnungsinnere filmt, kann er eventuell auch strafrechtlich belangt werden», sagt Schmid weiter, «denn dann liegt eine Verletzung des Privat- oder gar des Geheimbereichs vor.»

Quadrocopter der unteren Preisklasse können mit einer Batterieladung etwa 10 Minuten in der Luft bleiben und bis auf 300 Meter Distanz ferngesteuert werden. Die leistungsfähigeren und auch deutlich teureren Modelle, ab 2000 Franken, können bei einer höheren Nutzlast einige Minuten länger in der Luft bleiben und haben eine Reichweite von 500 Metern und mehr. Dies entspricht etwa der Distanz Paradeplatz bis See. 

Für den Betrieb von Drohnen und Flugmodellen unter 30 Kilogramm Gewicht benötigt man keine Bewilligung vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Allerdings ist die Verordnung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien einzuhalten. Diese verlangt unter anderem, «dass der ‹Pilot› jederzeit direkten Augenkontakt zu seinem Flugobjekt hat». Dies ist nicht immer gewährleistet. Viele Modelle lassen sich mit Videobrille steuern. Auch hierfür gibt es Regeln: «Will jemand technische Hilfsmittel wie Feldstecher oder Videobrillen einsetzen, um die natürliche Sichtweite der Augen zu erweitern, ist dafür eine Bewilligung des Bazl erforderlich.»

Diese Regel kann umgangen werden, wenn man eine weitere Person zuzieht: «Innerhalb des Sichtbereiches des ‹Piloten› ist der Betrieb mit Videobrillen und dergleichen gestattet, sofern ein zweiter ‹Operateur› den Flug überwacht und bei Bedarf jederzeit in die Steuerung des Fluggerätes eingreifen kann. Der ‹Operateur› muss sich am gleichen Standort befinden wie der Pilot.»  Das Reglement erlaubt auch Luftaufnahmen. Diese sind zulässig, «sofern die Vorschriften zum Schutz militärischer Anlagen berücksichtigt werden. Zu beachten sind dabei auch der Schutz der Privatsphäre respektive die Vorschriften des Datenschutzgesetzes.» Das heisst, es dürfen keine Personen erkennbar abgebildet werden. Ein weiterer Regelpunkt lautet: «Wer eine Drohne oder ein Flugmodell mit mehr als 500 Gramm Gewicht betreibt, muss für allfällige Schäden eine Haftpflichtdeckung im Umfang von mindestens 1 Million Franken gewährleisten.»

(*Namen der Redaktion bekannt)  

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnet

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Mandela - Freiheitskampf und Schweiz


 
Der einzige von Nelson Mandela persönlich gebilligte Film über sein Leben hat am Sonntag in seiner Heimat Premiere gefeiert. Zur Ausstrahlung von «Mandela: Long Walk to Freedom» nach der gleichnamigen Autobiografie kamen zahlreiche Wegbegleiter des südafrikanischen Anti-Apartheidshelden nach Johannesburg.

Mandela selbst fehlte: Nach einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung und mehrmonatigem Spitalaufenthalt war der 95-Jährige zu schwach, um an der Premiere teilzunehmen. Mandelas Memoiren «Long Walk to Freedom» wurden 1994 veröffentlicht. Zwei Jahre später konnte sich Filmproduzent Anant Singh die Filmrechte sichern. Gedreht wurde der Film in Mandelas Geburtsort, in Johannesburg und in Kapstadt. Er erzählt die aussergewöhnliche Geschichte des 95-Jährigen von seiner Kindheit über seine lange Haft bis zu seiner Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas im Jahr 1994. Justizminister Jeff Radebe sprach von einem «sehr bewegenden Kinofilm». «Ich musste immer wieder weinen», sagte er beim Verlassen des Kinos. Mandelas enger Freund und früherer Anwalt George Bizoz bedauerte das Fehlen der Hauptperson. «Mandela wäre sehr stolz gewesen», sagte er.

Die Schweiz hatte während der Zeit der Apartheid (1948 - 1994) das damalige südafrikanische Regime immer wieder offen und verdeckt unterstützt. So lief unter anderem der grösste Teil des südafrikanischen Goldhandels über Schweizer Banken (vor allem die UBS-Vorgängerin Schweizerische Bankgesellschaft). Die Schweizer Wirtschaft hielt sich ganz allgemein nicht an den von der UNO verhängten Boykott und investierte kräftig in Südafrika.

Die Hauptrolle im Film wird von dem britischen Schauspieler Idris Elba gespielt. Wegen eines Asthmaanfalls verpasste er seinen Flug in London und musste eine spätere Maschine nehmen. Der 41-Jährige kam gerade noch rechtzeitig zur Ausstrahlung. «Diese Geschichte ist so viel grösser als ich, grösser als jeder von uns», sagte er nach der Premiere. Der Film kommt am 28. November in alle südafrikanischen Kinos, Kinostart in den USA ist im Dezember.

Quelle: Agenturen / Guntram Rehsche

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Montag, 28. Oktober 2013

Ungenügende Noten für CH-Spitäler

Das Infektionsrisiko ist in der Schweiz deutlich höher als in anderen Ländern. Das Bundesamt für Gesundheit startet nun ein nationales Qualitätsprogramm, um die Zahl der Infektionsfälle zu senken.

Rund 600 Todesfälle und 15'000 Infektionserkrankungen könnte man jedes Jahr vermeiden, wenn in Operationssälen minimale hygienische Standards eingehalten würden. Das erklärt Swissnoso, eine Gruppe von leitenden Hygiene- und Infektionsspezialisten, die Spitalinfektionen seit 1994 zu bekämpfen versucht. Doch mit unverbindlichen Richtlinien und Empfehlungen wie «systematisches Händewaschen» und «Checkliste durchgehen» ist es dieser Organisation bisher nicht gelungen, die vermeidbaren Todes- und Krankheitsfälle genügend zu reduzieren. Eine Studie zeigt, dass die Hände nur in etwa 60 Prozent der gebotenen Gelegenheiten desinfiziert werden, wobei das Pflegepersonal pflichtbewusster ist als die Ärzte.

Punktuelle Fortschritte sind zwar in einzelnen Spitälern zu verzeichnen: Mit einem konsequenten Präventionsprogramm ist es der Intensivstation des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) gelungen, die Zahl der Infektionen zu halbieren. Doch insgesamt hapert es mit der Hygienequalität in Schweizer Spitälern noch gewaltig. Deshalb will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nach Aussage von Manfred Langenegger, Projektleiter Qualitätssicherung, ab 2015 mit Swissnoso ein nationales Qualitätsprogramm starten, um die Zahl der Wundinfektionen «wesentlich und nachhaltig zu senken». Vergleichszahlen von Swissnoso zeigen, dass die Schweiz im Vergleich zu Ländern der EU und zu den USA nicht einmal die durchschnittliche Qualität erreicht.  

Besonders schlecht sieht es bei Operationen an Dickdarm oder Enddarm aus: In der Schweiz erleidet jeder achte Patient eine Infektion, während es in Deutschland nur jeder elfte ist, in Frankreich jeder dreizehnte und in den USA jeder sechzehnte. Bei den insgesamt rund 9700 Darmoperationen pro Jahr käme es zu fast 400 Infektionen weniger, wenn die Behandlungsqualität in der Schweiz so gut wäre wie in Deutschland, und sogar zu fast 500 weniger, wenn die Qualität auf dem Niveau französischer Spitäler wäre. Bei diesen Werten handle es sich um eine «robuste statistische Aussage», schreibt Swissnoso und hält fest, dass die Infektionsrate nach Darmeingriffen in der Schweiz «vergleichsweise hoch» sei.

Auch nach dem Einsetzen von Kniegelenks- und Hüftgelenksprothesen ist die Infektionsrate in der Schweiz merklich höher als im Durchschnitt der EU. Wären die Infektionen nach Hüft- oder Kniegelenksoperationen bei uns so selten wie beispielsweise in Grossbritannien, könnten in der Schweiz jährlich über 300 Infektionsfälle vermieden werden. Infektionen bereiten Ärzten und Betroffenen zunehmend Kopfzerbrechen, weil es immer mehr Keime gibt, die gegen Antibiotika resistent sind.

Die Vergleichsstudie hatte Swissnoso im Auftrag des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern (ANQ) durchgeführt. Der ANQ wird von den Kantonen, dem Spitalverband H+ und dem Krankenkassenverband Santésuisse finanziert. An einer Medienkonferenz im August hat der ANQ lediglich Argumente verbreitet, die das schlechte Abschneiden der Schweiz relativieren sollten. Die Schweiz schneide vor allem deshalb schlecht ab, weil sie Infektionen, die erst nach dem Spitalaustritt auftreten, viel gründlicher erfasse. Swissnoso schreibt allerdings selber, dass die angewandte «Methode weitgehend identisch und somit vergleichbar mit andern nationalen Erfassungsprogrammen» war. Bei den Bypassoperationen jedenfalls muss die Erfassung von Infektionen erst nach Spitalaustritt etwa gleich gut erfolgt sein. Denn in Deutschland und der Schweiz traten fast 60 Prozent der Wundinfektionen erst im Laufe eines Jahres nach der Operation auf. Doch hierzulande kam es bei einem von 19 Patienten zu einer postoperativen Infektion, in Deutschland hingegen nur bei einem von 34.
 
Der ANQ verschwieg Faktoren, welche die Schweizer Zahlen noch schlechter aussehen lassen könnten. Erstens hatte die Hälfte aller Spitäler nicht mitgemacht, darunter vermutlich solche, die ein schlechtes Abschneiden befürchteten. Und zweitens haben selbst die teilnehmenden Spitäler Daten zu einzelnen Operationen verweigert, möglicherweise zu solchen, bei denen sie ein schlechtes Abschneiden befürchteten. Schliesslich gab es drittens – anders als etwa in Holland – keine unabhängige Stelle, welche die von den Spitälern gelieferten Daten kontrollierte. Der Möglichkeiten, Daten zu beschönigen, gibt es viele. Bereits 2009 hatte ein Länderbericht der OECD/WHO die Schweiz kritisiert, dass sie sich «zu sehr auf die Selbstregulierung durch die Fachgesellschaften verlässt» und kein überzeugendes Kontrollorgan existiere. In den USA mussten Spitäler ihre Infektionszahlen nach oben korrigieren, nachdem die Angaben extern kontrolliert wurden.

Zu besonders vielen vermeidbaren Infektionen komme es, wenn in Operationssälen eine autoritär geprägte Kultur herrsche, erklärt Professor Peter Pronovost von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, eine internationale Infektionskoryphäe. Sei der Chirurg ein Hierarch, würden es die Anwesenden im Operationssaal nicht wagen, zu intervenieren, falls etwas schiefzugehen drohe oder wenn der Chef nach einem Telefon oder dem Drücken einer Türfalle die Hände nicht erneut desinfiziere. Trotzdem erfasst Swissnoso die Infektionsraten einzelner Chirurgen nicht. Und die Spitäler wollen nichts wissen von Sanktionen, wenn das Personal im Operationssaal schweigt. Man wolle das «Denunzieren» nicht fördern, lautet die Begründung. Opfer sind Patienten, denen verlängerte Behandlungen und ein vorzeitiges Sterben drohen.
 
Die erfassten Infektionsraten der einzelnen Spitäler wollen Swissnoso und der Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern nicht bekannt geben, auch nicht die Häufigkeit je nach Spitaltypen – Universitätsspitäler, Zentrumsspitäler und Regionalspitäler. Es seien «zu viele Ko-Faktoren» im Spiel, um die Zahlen zuverlässig vergleichen zu können, sagen sie. Bei künftigen Vergleichen wollen Swissnoso und ANQ die Infektionszahlen der einzelnen Spitäler veröffentlichen, verspricht Swissnoso-Generalsekretär Erich Tschirky. In einigen US-Bundesstaaten und in Grossbritannien ist diese Transparenz längst vorhanden. Wer eine nicht notfallmässige Darm- oder Bypassoperation vor sich hat oder ein künstliches Gelenk möchte, bleibt deshalb im Ungewissen, wo er am ehesten riskiert, an einer vermeidbaren Infektion zu erkranken oder sogar zu sterben: ob in einem Universitätsspital, einem Zentrumsspital oder einem Regionalspital. Auch die schwarzen Schafe unter den Spitälern kann er nicht meiden. 

Quelle: Tages-Anzeiger 28.10.13

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Montag, 21. Oktober 2013

Die 7 W-Fragen im Journalismus

Beim Verfassen eines journalistischen, aber auch eines alltäglichen Textes, ist es sinnvoll, jeweils (nach Möglichkeit) alle folgenden Fragen zu beantworten:

Wer?  
Auf dem Bild ist eine chinesische Familie am Essen, oder:
Ein Bild der Natur, im Vordergrund stehen zwei Kühe.

Was?
Vor mir liegt ein farbenfroher Stadtausschnitt.


Wann?
Das Bild ist im Winter gemacht worden, so wie die Leute angezogen sind.


Wo?
Das ist mitten in der schönen Altstadt von Zürich.


Wie?
Mein Bild ist sehr farbig und man kann sehen, wie der ganz normale Tag in China ist.


Warum?
Lieber arbeiten ohne Sicherheit als arbeitslos.


Wozu?
Die Besitzerin sucht etwas, hofft auf wertvolle Funde, um diese verkaufen zu können.


Zur Reihenfolge: Das Wichtigste zuerst!

Weitere hilfreiche Elemente, um einen sinnvollen Text zu liefern, sind Titel, Lead (Einführung), Zwischentitel, Fazit / Schluss.

Mit Textbeispielen aus den Bildbeschreibungen der KursteilnehmerInnen

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Gerangel um 1:12-Initiative

Ein Finanzprofessor ist klar für die Initiative

Finanzprofessor Marc Chesney hielte ein 1:20-Verhältnis angebrachter, unterstützt aber trotzdem die Juso-Initiative. Wirtschaftsvertreter zeigen sich derweil besorgt ob der neusten Umfragewerte.

Finanzprofessor Marc Chesney stellt sich auf die Seite der 1:12-Initiative. «1:20 wäre für die Schweiz wahrscheinlich angebrachter als 1:12», sagte er im Interview mit dem «SonntagsBlick». Aber jetzt gehe es um die Wahl zwischen 1:12 und Status quo. «Ich werde klar für die Initiative stimmen.» Die Lohnentwicklung in der Finanzbranche sei in den vergangenen 30 Jahren völlig ausser Kontrolle geraten. «Die heutigen Lohndifferenzen sind weder moralisch noch ökonomisch vertretbar», sagte Chesney, der am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich unterrichtet.

Bezweifelt Abzug
Dass Grossbanken bei einem Ja zur Initiative ins Ausland abwandern, bezweifelt er. «Die Institute sollten bei einem Wegzug ihre faktische Staatsgarantie verlieren – das heisst, dass sie in einem finanziellen Notfall, wie er etwa 2008 bei der UBS aufgetreten ist, nicht mehr mit Schweizer Steuergeldern gerettet werden könnten.» «Mal sehen», fragt Chesney, «welcher ausländische Steuerzahler in diesem Fall einspringen würde: der Amerikaner, der Engländer, oder der Singapurer? Bonne Chance!»

Wirtschaftsvertreter zeigen sich besorgt
Einen Monat vor der Abstimmung steht die 1:12-Initiative verhältnismässig gut da: Gemäss einer SRG-Umfrage wollen 44 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative annehmen, ebenfalls 44 Prozent wollen sie ablehnen, wie am Freitag bekannt wurde. Andreas Koopmann, Verwaltungsratspräsident der Georg Fischer AG und Vizepräsident von Nestlé, zeigt sich gegenüber der «Schweiz am Sonntag» besorgt. «Kein einziges ausländisches Unternehmen würde bei einer Annahme der Initiative mehr in die Schweiz ziehen wollen.» Mehrere Unternehmen planten zudem Szenarien zur Verlagerung zumindest eines Teils der Tätigkeiten ins Ausland. So würden in den Verwaltungsräten von Georg Fischer AG, Nestlé und Credit Suisse derartige Szenarien durchgespielt. «Manche Szenarien sehen vor, einen Teil der Tätigkeiten zu verlagern, der Extremfall wären Sitzverlegungen. Jedes Szenario wäre mit schlechten Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Schweiz verbunden», lässt sich Koopmann zitieren. 

Ruedi Noser, FDP-Nationalrat und Präsident des Wirtschaftsnetzwerks Succèsuisse, fordert eine deutliche Ablehnung der Initiative: «Die Initiative muss mit einem Nein-Anteil von über 70 Prozent bachab geschickt werden. Alles andere wäre eine Kriegserklärung an die Wirtschaft.» (mw/sda)

Interview mit dem FDP-Nationalrat Ruedi Noser

Herr Noser, laut der SRG-Trendumfrage von Freitag sind Gegner und Befürworter der 1:12-Initiative mit jeweils 44 Prozent gleichauf. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Das ist schwierig zu sagen. Das Ergebnis kann jedoch gut dazu dienen, die Gegner der Initiative zu mobilisieren. Und ich bin mir sicher, dass dies auch gelingt.

Inwiefern?
Alle potenziellen Gegner wissen nach diesem Ergebnis, dass sie an die Urne gehen müssen.

Bis zur Abstimmung am 24. November bleibt etwa ein Monat. Sie hoffen auf einen Nein-Anteil von 70 Prozent. Was muss passieren, damit der unentschlossene Stimmbürger sich an der Urne nicht für ein Ja entscheidet?
Es ist absolut realistisch, dass weniger als 30 Prozent der Initiative zustimmen. Das Potenzial der Befürworter ist bereits ausgeschöpft – es ist also essenziell, dass wir die Gegner mobilisieren können.

Wie wollen Sie das konkret tun?
Mit mehr persönlichem Engagement. Ich selbst werde bis zur Abstimmung noch mehr als 20 Auftritte absolvieren. Und ich hoffe, dass der eine oder andere auch noch motiviert ist, gegen die Initiative zu kämpfen. Man muss sich bewusst sein: Keine grosse Firma kann mit einem Ja leben.

Bisher haben sich grosse Unternehmen nur vereinzelt zur 1:12-Initiative geäussert, wie etwa Kühne&Nagel-Aktionär Klaus-Michael Kühne. Auch grosse internationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz haben bisher geschwiegen. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung aus der Wirtschaft?
Die Bevölkerung ist darauf angewiesen, vor einer Abstimmung klar über deren Folgen aufgeklärt zu werden. Es ist also wichtig, dass sich die Wirtschaft zu Wort meldet – hier wünsche ich mir mehr persönliches Engagement. Es liegt in der Verantwortung der direkten Demokratie, die Bürger zu informieren.

Ist bisher genügend aufgeklärt worden?
Ganz klar nein. Denn: Grosse Firmen werden bei einem Ja zur 1:12-Initiative Konsequenzen ziehen müssen. Sie haben dabei zwei Möglichkeiten – entweder die Bestimmungen zu umgehen, oder wegzuziehen. Also würde ein Ja an der Urne dazu führen, dass Unternehmen gewisse Managerposten nicht mehr in der Schweiz besetzen würden. Es ist nicht im Interesse unseres Landes, wenn Entscheidungen nicht mehr in der Schweiz gefällt werden.

Werden bei einem Ja an der Urne weitere Firmen die Schweiz verlassen, wie das Klaus-Michael Kühne angekündigt hat?
Das kann ich nicht sagen. Aber eines ist klar: Schon die Umsetzung der Minder-Initiative wird dazu führen, dass Firmen die Schweiz verlassen werden.

Im Vorfeld der Abzocker-Initiative bauten die Gegner eine Drohkulisse vom «Massenexodus Schweizer Firmen» auf. Nach dem überwältigenden Ja von 68 Prozent stürzte diese Kulisse ein. Ist das der Grund, warum die Nein-Kampagne zu 1:12 bisher nicht den gewünschten Erfolg hat?
Im Vergleich mit der Abzocker-Initiative ist die aktuelle Kampagne zu 1:12 viel erfolgreicher. Die Initiative hat jetzt schon keine Chance mehr auf eine Mehrheit. Entscheidend wäre aber ein grosses Nein zur Initiative.

Manche halten ein Nein von 70 Prozent für nicht realistisch. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern?
Bisher hat sich die Schweiz in Abstimmungen immer wirtschaftsfreundlich gezeigt – Abstimmungen mit wirtschaftlichem Inhalt wurden immer sehr deutlich gewonnen, siehe etwa die abgelehnte Initiative zu sechs statt vier Wochen Ferien im Jahr. Es ist durchaus möglich, auch bei der 1:12-Initiative ein Verhältnis von 30:70 hinzubekommen. Man sollte sich Ziele setzen und auch dafür kämpfen.

Im «SonntagsBlick» zweifelt der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney daran, dass Grossbanken wie CS oder UBS bei einem Ja an der Urne aus der Schweiz wegziehen würden. Sie würden bei einem Wegzug ihre Staatsgarantie verlieren und bei einem Notfall nicht gerettet werden können. Was halten Sie von diesem Argument?
Die Aussage ist sachlich falsch – ich verstehe nicht, wie der Professor so etwas sagen kann. Mit den KMU-Krediten und dem Zahlungsverkehr sind UBS und CS in der Schweiz «too big to fail». Also müssen sie auch in der Schweiz gerettet werden, selbst wenn sie ihren Hauptsitz im Ausland haben. Diese Bemerkung ist eines Finanzprofessors unwürdig. 


Quelle: Tages-Anzeiger 21.10.13

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Montag, 30. September 2013

Berühmte FotografInnen

In der Kunstrichtung der Fotografie gehören Schweizer KünstlerInnen zur Weltklasse - in der Folge eine willkürliche Auswahl (auch international), die sich unter anderem nach den aktuellen Ausstellungen richtet. 

Aktuelle Fotoausstellungen immer unter www.fotoagenda.ch



 
René Burri - Museum für Gestaltung Zürich - bis 13. Oktober 2013


























Führung: Mittwoch, 2. Oktober 2013, 18 Uhr
Was macht die Farbe mit der Fotografie?
Guido Magnaguagno, Kurator


























 

Martin Parr - Museum für Gestaltung Zürich - bis 5. Januar 2014
































Martin Parr ist mit seinem scharfen Blick auf die Welt einer der bedeutendsten Dokumentarfotografen unserer Zeit. 



Emil Schulthess: Fotomuseum Winterthur bis 23. Februar 2014



























Silvia Voser






Georg Gerster




  Edward Burtynski

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ohne Wasser kein Leben: Der Fotograf Edward Burtynsky untersucht in seinem neuen Fotoband, wo Wasser herkommt, wie wir es aufbereiten, verwenden, verteilen und verschwenden.  

 

Das Sportfoto des Jahres: Laci Perenyi: "Degen Synchron"