Ein Finanzprofessor ist klar für die Initiative
Finanzprofessor Marc Chesney hielte ein 1:20-Verhältnis angebrachter,
unterstützt aber trotzdem die Juso-Initiative. Wirtschaftsvertreter
zeigen sich derweil besorgt ob der neusten Umfragewerte.
Finanzprofessor Marc Chesney stellt sich auf die Seite der
1:12-Initiative. «1:20 wäre für die Schweiz wahrscheinlich angebrachter
als 1:12», sagte er im Interview mit dem «SonntagsBlick». Aber jetzt gehe es um die Wahl zwischen 1:12 und Status quo. «Ich werde klar für die Initiative stimmen.» Die
Lohnentwicklung in der Finanzbranche sei in den vergangenen 30 Jahren
völlig ausser Kontrolle geraten. «Die heutigen Lohndifferenzen sind
weder moralisch noch ökonomisch vertretbar», sagte Chesney, der am
Institut für Banking und Finance der Universität Zürich unterrichtet.
Bezweifelt Abzug
Dass
Grossbanken bei einem Ja zur Initiative ins Ausland abwandern,
bezweifelt er. «Die Institute sollten bei einem Wegzug ihre faktische
Staatsgarantie verlieren – das heisst, dass sie in einem finanziellen
Notfall, wie er etwa 2008 bei der UBS aufgetreten ist, nicht mehr mit
Schweizer Steuergeldern gerettet werden könnten.» «Mal sehen»,
fragt Chesney, «welcher ausländische Steuerzahler in diesem Fall
einspringen würde: der Amerikaner, der Engländer, oder der Singapurer?
Bonne Chance!»
Wirtschaftsvertreter zeigen sich besorgt
Einen Monat vor der Abstimmung steht die 1:12-Initiative verhältnismässig gut da: Gemäss einer SRG-Umfrage wollen 44 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative annehmen, ebenfalls 44 Prozent wollen sie ablehnen, wie am Freitag bekannt wurde. Andreas
Koopmann, Verwaltungsratspräsident der Georg Fischer AG und
Vizepräsident von Nestlé, zeigt sich gegenüber der «Schweiz am Sonntag»
besorgt. «Kein einziges ausländisches Unternehmen würde bei einer
Annahme der Initiative mehr in die Schweiz ziehen wollen.» Mehrere
Unternehmen planten zudem Szenarien zur Verlagerung zumindest eines
Teils der Tätigkeiten ins Ausland. So würden in den Verwaltungsräten von
Georg Fischer AG, Nestlé und Credit Suisse derartige Szenarien
durchgespielt. «Manche Szenarien sehen vor, einen Teil der Tätigkeiten
zu verlagern, der Extremfall wären Sitzverlegungen. Jedes Szenario wäre
mit schlechten Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Schweiz
verbunden», lässt sich Koopmann zitieren.
Ruedi Noser,
FDP-Nationalrat und Präsident des Wirtschaftsnetzwerks Succèsuisse,
fordert eine deutliche Ablehnung der Initiative: «Die Initiative muss
mit einem Nein-Anteil von über 70 Prozent bachab geschickt werden. Alles
andere wäre eine Kriegserklärung an die Wirtschaft.» (mw/sda)
Interview mit dem FDP-Nationalrat Ruedi Noser
Herr Noser, laut der SRG-Trendumfrage von Freitag sind Gegner und Befürworter der 1:12-Initiative mit jeweils 44 Prozent gleichauf. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Das ist schwierig zu sagen. Das Ergebnis kann jedoch gut dazu dienen,
die Gegner der Initiative zu mobilisieren. Und ich bin mir sicher, dass
dies auch gelingt.
Inwiefern?
Alle potenziellen Gegner wissen nach diesem Ergebnis, dass sie an die Urne gehen müssen.
Bis
zur Abstimmung am 24. November bleibt etwa ein Monat. Sie hoffen auf
einen Nein-Anteil von 70 Prozent. Was muss passieren, damit der
unentschlossene Stimmbürger sich an der Urne nicht für ein Ja
entscheidet?
Es ist absolut realistisch, dass weniger als 30 Prozent der Initiative
zustimmen. Das Potenzial der Befürworter ist bereits ausgeschöpft – es
ist also essenziell, dass wir die Gegner mobilisieren können.
Wie wollen Sie das konkret tun?
Mit mehr persönlichem Engagement. Ich selbst werde bis zur Abstimmung
noch mehr als 20 Auftritte absolvieren. Und ich hoffe, dass der eine
oder andere auch noch motiviert ist, gegen die Initiative zu kämpfen.
Man muss sich bewusst sein: Keine grosse Firma kann mit einem Ja leben.
Bisher
haben sich grosse Unternehmen nur vereinzelt zur 1:12-Initiative
geäussert, wie etwa Kühne&Nagel-Aktionär Klaus-Michael Kühne. Auch
grosse internationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz haben bisher
geschwiegen. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung aus der Wirtschaft?
Die Bevölkerung ist darauf angewiesen, vor einer Abstimmung klar über
deren Folgen aufgeklärt zu werden. Es ist also wichtig, dass sich die
Wirtschaft zu Wort meldet – hier wünsche ich mir mehr persönliches
Engagement. Es liegt in der Verantwortung der direkten Demokratie, die
Bürger zu informieren.
Ist bisher genügend aufgeklärt worden?
Ganz klar nein. Denn: Grosse Firmen werden bei einem Ja zur
1:12-Initiative Konsequenzen ziehen müssen. Sie haben dabei zwei
Möglichkeiten – entweder die Bestimmungen zu umgehen, oder wegzuziehen.
Also würde ein Ja an der Urne dazu führen, dass Unternehmen gewisse
Managerposten nicht mehr in der Schweiz besetzen würden. Es ist nicht im
Interesse unseres Landes, wenn Entscheidungen nicht mehr in der Schweiz
gefällt werden.
Werden bei einem Ja an der Urne weitere Firmen die Schweiz verlassen, wie das Klaus-Michael Kühne angekündigt hat?
Das kann ich nicht sagen. Aber eines ist klar: Schon die Umsetzung der
Minder-Initiative wird dazu führen, dass Firmen die Schweiz verlassen
werden.
Im Vorfeld der Abzocker-Initiative bauten die Gegner
eine Drohkulisse vom «Massenexodus Schweizer Firmen» auf. Nach dem
überwältigenden Ja von 68 Prozent stürzte diese Kulisse ein. Ist das der
Grund, warum die Nein-Kampagne zu 1:12 bisher nicht den gewünschten
Erfolg hat?
Im Vergleich mit der Abzocker-Initiative ist die aktuelle Kampagne zu
1:12 viel erfolgreicher. Die Initiative hat jetzt schon keine Chance
mehr auf eine Mehrheit. Entscheidend wäre aber ein grosses Nein zur
Initiative.
Manche halten ein Nein von 70 Prozent für nicht realistisch. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern?
Bisher hat sich die Schweiz in Abstimmungen immer wirtschaftsfreundlich
gezeigt – Abstimmungen mit wirtschaftlichem Inhalt wurden immer sehr
deutlich gewonnen, siehe etwa die abgelehnte Initiative zu sechs statt
vier Wochen Ferien im Jahr. Es ist durchaus möglich, auch bei der
1:12-Initiative ein Verhältnis von 30:70 hinzubekommen. Man sollte sich
Ziele setzen und auch dafür kämpfen.
Im «SonntagsBlick» zweifelt der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney
daran, dass Grossbanken wie CS oder UBS bei einem Ja an der Urne aus
der Schweiz wegziehen würden. Sie würden bei einem Wegzug ihre
Staatsgarantie verlieren und bei einem Notfall nicht gerettet werden
können. Was halten Sie von diesem Argument?
Die Aussage ist sachlich falsch – ich verstehe nicht, wie der Professor
so etwas sagen kann. Mit den KMU-Krediten und dem Zahlungsverkehr sind
UBS und CS in der Schweiz «too big to fail». Also müssen sie auch in der
Schweiz gerettet werden, selbst wenn sie ihren Hauptsitz im Ausland
haben. Diese Bemerkung ist eines Finanzprofessors unwürdig.
Quelle: Tages-Anzeiger 21.10.13
^^^ Nach oben
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen