Weil Bitcoin immer populärer wird, überlegen sich immer mehr Regierungen
weltweit, wie sie mit der künstlichen Währung umgehen sollen. Auch die
Schweiz diskutiert darüber.
«Es ist wie bei der Luftgitarre», sagt Jon Matonis. «Sie
existiert nur, weil alle Beteiligten daran glauben.» Matonis ist
Geschäftsführer der Bitcoin-Stiftung und damit Cheflobbyist einer
Währung, die – wie die Luftgitarre – physisch nicht existiert. Und
dennoch sind im Moment jeden Tag Zehntausende von Menschen bereit, über
1000 real existierender Dollars gegen eine Einheit der
Luftgitarren-Währung zu tauschen.
Für Aussenstehende ist das Phänomen schwer verständlich. Es gibt Börsen, an denen reales Geld in Bitcoins getauscht
werden kann und mindestens einen Bancomaten, der Bargeld gegen
elektronisches Bitcoin-Guthaben wechselt. Es gibt Online-Shops, die
Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren und in gewissen Gegenden – Berlin
Kreuzberg etwa – auch mehrere Geschäfte, in denen man mit Bitcoins
bezahlen kann.
Kaum Gebühren, aber volatil
Das
virtuelle Geld muss einfach via Smartphone-App von einem elektronischen
Portemonnaie ins andere verschoben werden. Theoretisch wäre das sogar
attraktiv: Verglichen mit Kreditkartenzahlungen fallen kaum Gebühren an.
Allerdings schwankt der Wert einer Bitcoin im Moment so stark – an
gewissen Tagen um mehrere 100 Dollar innert weniger Stunden –, dass das
Bezahlen eines Kaffees zum spekulativen Akt verkommt.
Bitcoin
wurde 2008 von einem anonymen Programmierer entwickelt, basierend auf
einer politischen Ideologie: Die Währung sollte ohne Einmischung eines
Einzelnen – oder eines Staates - existieren. Sie sollte günstig und ohne
Mittelsmann austauschbar sein, auch wenn sich die Beteiligten weder
kennen noch vertrauen. Und sie sollte die finanzielle Privatsphäre
garantieren: Wer wie viel davon besitzt und wofür er es ausgibt, sollte
niemanden etwas angehen. Es sollte eine Währung sein, die ähnlich
funktioniert wie Gold.
Der Zufall hat die Hand im Spiel
Statt
von einer Zentralbank wird das System darum von einem dezentralen Netz
aus den Computern von Freiwilligen betrieben – einer modernen Spezies
der Goldgräber. Diese beteiligen sich an einer Art Lotterie: Im Wettlauf
mit anderen sollen ihre spezialisierten Computer möglichst schnell ein
mathematisches Rätsel lösen. Je schneller der Computer, desto grösser
die Chance, die Lösung als Erster zu finden. Trotzdem entscheidet am
Ende der Zufall. Der Gewinner erhält den fiktiven Rohstoff – neue
Bitcoins.
Mittlerweile grassiert ein wahrer
Bitcoin-Rausch: Die Computer, deren einziger Zweck es ist, Bitcoins zu
schürfen und das System zu unterhalten, besitzen bereits über hundertmal
so viel Rechenleistung wie die 500 schnellsten Supercomputer der Welt.
Sie verbrauchen dabei rund 110'000 Megawattstunden Strom pro Tag – so
viel wie 24'500 Schweizer Haushalte in einem Jahr. Als
Nebenprodukt dieses Wettlaufs bewirtschaften die Computer ein
öffentliches Register, in dem jede Transaktion gespeichert ist, die
jemals mit Bitcoins gemacht wurde. Anhand des Registers überprüfen immer
mehrere Rechner gleichzeitig eine Überweisung auf ihre Legitimität.
«Das macht das System so sicher», sagt Bitcoin-Experte Matonis.
Die
steigende Popularität von Bitcoin hat Regierungen auf der ganzen Welt
aufgeschreckt. Nicht nur die USA und China beschäftigen sich damit, ob
und wie sie mit Bitcoin umgehen wollen. Auch in der Schweiz wird der
Nationalrat demnächst beraten, ob er den Bundesrat mit einer
Risikoanalyse beauftragen soll.
Gleichzeitig warnen
Ökonomen vor einer Blase gigantischen Ausmasses: Zwar basiert das
Bitcoin-Programm auf einer Geldtheorie und auf ökonomischen Kriterien.
Zum Beispiel ist die Geldmenge nach oben beschränkt: Bis ins Jahr 2140
werden maximal 21 Millionen Bitcoins ausgegeben. Dadurch steigt der Wert
einer Einheit automatisch, je mehr Menschen sich dafür interessieren.
Zwar macht das Bitcoin attraktiv in Ländern, in denen Inflation herrscht
und der Kapitalverkehr beschränkt ist – wie etwa in China. Für viele
Ökonomen führt aber gerade das unvermeidlich zum Kollaps. Denn wenn der
Wert von Bitcoins stetig steigt, wer will sie dann noch ausgeben? Und
wenn niemand mehr etwas damit kauft, funktioniert die Bitcoin-Wirtschaft
nicht mehr.
Plattform für Überweisungen
Trotz
aller Kritik und Absurditäten gibt es eine Diskussion darüber, was für
einen Platz virtuelle Währungen in der realen Welt einnehmen könnten.
Das Bitcoin-System wurde bereits Dutzende Male kopiert, das Portal Coinmarketcap.com
listet 36 ähnliche virtuelle Währungen auf. Keine davon ist im Moment
auch nur annähernd so gross. Alle versuchen, die Schwächen von
Bitcoin auszumerzen – und sei es nur der Stromverbrauch.
Interessant ist ein Dienst namens Ripple,
der zwar auch eine gleichnamige Währung kennt, sich aber auf seine
Funktion als Überweisungsplattform fokussiert. Genau dort sehen viele
Experten den wahren Wert einer virtuellen Währung: In der Möglichkeit,
günstig und barrierefrei Geld in die ganze Welt zu verschicken. Nicht
zuletzt, weil es bereits einen Markt gibt: 2013 werden Emigranten
laut Weltbank 550 Milliarden Dollar an ihre Familien schicken.
Quelle: Tages-Anzeiger 2.12.13
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